Wien-Wahl

Wiens stummes Drittel

Petra Berger (Wr. Jugendzentren)
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Ein Drittel der Wiener ist von den Gemeinderatswahlen in Wien ausgeschlossen. Der Anteil der nicht-wahlberechtigten Personen dürfte in den kommenden Jahren noch steigen.

„Es ist wie in einer Schulklasse. Jeder hat einen Sitzplatz, nur einer muss stehen - weil er keinen roten Pass hat.“ Muslim fällt es nicht leicht, Worte dafür zu finden, wie es sich anfühlt, nicht wählen zu dürfen. Dabei merkt man ihm an, dass es ihn stört. Sehr sogar. „Ich arbeite hier, ich kann Deutsch besser als meine Muttersprache. Ich bin ja auch ein Teil von Österreich - in meinen Augen."

Der 19-Jährige ist einer von 480.000 Wiener im wahlfähigen Alter, die bei der kommenden Wahl im Oktober nicht wählen dürfen. Weil sie keine österreichischen Staatsbürger sind. Besonders frustrierend sei es für die 72.000 Jugendlichen zwischen 16 und 25 Jahren, erzählt Ilkim Erdost, Geschäftsführerin Verein Wiener Jugendzentren. Weil sie - so wie Muslim, der als Säugling nach Österreich gekommen ist - zwar hier aufgewachsen sind und „die Stadt als ihr Zuhause ansehen“, aber dieses nicht mitgestalten dürfen.

„Man hört es in der Schule, oder sieht es auf Social Media: Deine Stimme zählt“, sagt auch Natalia, „Aber meine zählt nicht.“ Die 19-Jährige mit Migrationshintergrund ist in Österreich geboren - „ich bin komplett integriert“ - doch auch sie muss am 11. Oktober zu Hause bleiben.

Das Wahlrecht haben in Österreich nur österreichische Staatsbürger. EU-Bürger werden zumindest bei EU-Wahlen und auf Kommunalebene zur Urne gebeten, in Wien also die Bezirksvertretungswahlen. Von den Gemeinderatswahlen sind auch sie ausgeschlossen, genauso wie Drittstaatsangehörige.

30 Prozent, also fast jeder dritte Wiener darf nicht über den künftigen Bürgermeister oder die künftige Bürgermeisterin bestimmen. Ein Anteil, der sich in den vergangenen 20 Jahren fast verdoppelt hat. Und es drohen in den nächsten Jahren noch mehr zu werden, sagt Philipp Hammer vom Integrationsmonitoring der Stadt Wien. „Wien wächst, während die Zahl der wahlberechtigten Menschen sinkt." Einerseits liegt dies an Zuwanderung, der Anteil der Einwohner mit ausländischer Staatsbürgerschaft wird größer. Andererseits werden vergleichsweise wenige Menschen eingebürgert. Im Jahr 2019 waren es nur acht von tausend - eine der niedrigsten Einbürgerungsraten in der EU. „Diese Entwicklung ist ein wirkliches Problem für die Demokratie."

Stadt Wien

Besonders die Zahl der nicht-wahlberechtigten Jugendlichen wird in den kommenden Jahren in Wien noch steigen, rechnet Hammer vor. Derzeit sind 66.000 Kinder unter 16 Jahren zwar in Österreich geboren, aber haben eine ausländische Staatsbürgerschaft. Denn das Staatsbürgerschaftsrecht baut in Österreich - anders als etwa in Deutschland - auf dem Abstammungsprinzip - Stichwort „ius sanguinis“ - auf. Österreicher wird man in der Regel, wenn die Eltern bereits welche sind.

Österreicher werden ist schwer

Wenn er könnte, würde Muslim gerne auch auf dem Papier Österreicher werden. Doch der Zugang zu einer Staatsbürgerschaft ist an eine Vielzahl an Auflagen gebunden. Viele scheitern an der finanziellen Hürde. So müsste Muslim drei Jahre lang durchgehend ein Einkommen von etwa 900 Euro netto nachweisen, bei dem allerdings sämtliche Lebenserhaltungskosten wie Miete schon abgezogen sind.

Muslim hat aber auch eine andere Idee, wie man zu einem Wahlrecht kommen könnte: „Die, die hier schon länger leben und sich integriert haben, ihre Pflichten erfüllen, sollten einen Stempel bekommen, dass sie wählen dürfen."

„Ob der Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtert oder das Wahlrecht ausgeweitet wird, das ist nachrangig“, meint Erdost. Wichtig sei ihr, dass es gelöst werde. Denn sie sieht genauso wie Hammer einen drohenden Demokratieverlust. „In jungen Jahren würden die Grundlagen  für ein Demokratieverständnis gelegt. Werde dies nicht unterstützt, „dann wird Neugier und Engagement durch Frustration und Ablehnung ersetzt."

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