Japan

„Wer selbst keine Stürmer hat, wird nie ein Match gewinnen“

Für die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist die EU ein wichtiger Handelspartner – auch wenn Japans strategische Prioritäten klar im pazifischen Raum liegen. Was Europas Bemühungen zur Regulierung der digitalen Wirtschaft anbelangt, herrscht in Tokio verhaltene Skepsis.

Brüssel/Tokio. Wer in Europa an den Fernen Osten denkt, denkt vermutlich in erster Linie an China. Doch im Schatten der Volksrepublik mit ihren 1,3 Milliarden Einwohnern gibt es in der Region ein Land, dessen Verbindungen zur Europäischen Union im Laufe der vergangenen Jahre immer enger – und immer wichtiger – geworden sind: Japan, die Nummer drei auf der Rangliste der weltgrößten Volkswirtschaften, eine stabile Demokratie und (wie die Europäer) Mitglied im OECD-Klub der entwickelten Industrienationen. Gemeinsam mit Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien ist Japan Teil der exklusiven G7-Gruppe, man kennt sich, schätzt sich und vertraut einander.

Aufgrund der geografischen Lage kommt die EU als unmittelbarer außenpolitischer Partner nicht in Betracht – dafür ist der Abstand schlicht zu groß. In Handelsfragen ist die Union allerdings ein wertvoller Partner – auch wenn China das ökonomische Gravitationszentrum in der Region ist und das Transpazifische Freihandelsabkommen (CPTPP) für Japan eine höhere strategische Bedeutung hat (Südkorea, das für die EU ebenfalls ein wichtiger Handelspartner ist, ist bei CPTPP nicht mit an Bord). Doch solang die USA als Vertragspartner nicht zur Verfügung stehen – Präsident Donald Trump hat den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem avisierten Pazifik-Pakt gleich nach seinem Amtsantritt im Jänner 2017 vollzogen –, ist die Schlagkraft des als Gegengewicht zur Volksrepublik vorgesehenen Handelsbündnisses geschwächt.

 

Jefta erleichtert Handel . . .

In diese strategische Bresche konnte die EU mit dem Japan-Abkommen Jefta vorstoßen. Der im Februar 2019 in Kraft getretene Vertrag hat im Laufe des vergangenen Jahres zu einem Anstieg der japanischen Ausfuhren nach Europa um 6,3 Prozent geführt – die europäischen Exporte nach Japan sind in einer ähnlichen Größenordnung gewachsen. Die stufenweise Beseitigung beinahe aller Zölle soll das bilaterale Handelsvolumen längerfristig um geschätzte 36 Mrd. Euro pushen – derzeit liegt es bei knapp 75 Mrd. Euro.

Auch bei der Terrorbekämpfung ist die EU aus japanischer Perspektive ein Partner. Tokio und Brüssel verhandeln derzeit über den Austausch von Fluggastdaten, ähnliche Abkommen hat die EU bereits mit Australien und den USA fixiert, eine Vereinbarung mit Kanada steht kurz vor der Fertigstellung. Der Austausch personenbezogener Daten funktioniert seit Anfang 2019 reibungslos – das japanische Datenschutzniveau gilt als mit dem der EU vergleichbar, während beispielsweise das europäische „Privacy Shield“-Abkommen mit den USA im Juli 2020 vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurde.

Anders als in Handelsfragen ist die EU in Fragen der Weltpolitik für die japanischen Entscheidungsträger nur von marginaler – bzw. sogar schrumpfender – Bedeutung. „Europa ist zu zerstritten, um bei wirklich wichtigen Entscheidungen eine Alternative zu China oder den USA zu werden“, diagnostiziert der in Tokio ansässige Ökonom Jesper Koll. Der Japan-Experte hält auch die europäischen Bemühungen, bei der Festlegung globaler Standards und Vorschriften in der ersten Liga mitzuspielen, für zum Scheitern verurteil. Der Grund? Anders als die USA und China verfüge die EU über keine Hightech-Konzerne mit globaler Reichweite: „Wer selbst keine Stürmer hat, wird nie ein Match gewinnen.“

 

. . . Brexit bereitet Kopfzerbrechen

Apropos Stürmer: Ein Eigentor hat sich Europa aus japanischer Sicht mit dem Brexit geleistet. Der am 31. Jänner vollzogene Austritt Großbritanniens aus der EU bereitet der japanischen Wirtschaft großes Kopfzerbrechen – denn die Japan AG nutzte Großbritannien bis dato als europäischen Brückenkopf und Pforte zum Binnenmarkt der EU. Diese durch Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren etablierte Rolle ist nun in Gefahr – und mit ihr viele Arbeitsplätze. Allein die drei japanischen Autohersteller Honda, Nissan und Toyota beschäftigen in Großbritannien rund 60.000 Menschen. Rund 900 Unternehmen aus Japan haben sich in Großbritannien angesiedelt, viele von ihnen bedienen von dort aus den europäischen Markt.

So wie Japan es sieht, liegt es an der britischen Regierung, dafür zu sorgen, dass nach dem Ende der Brexit-Übergangsfrist am 31. Dezember, wenn Großbritannien definitiv aus dem Binnenmarkt ausscheidet, der Zugang für in Großbritannien hergestellte Produkte japanischer Unternehmen gewährleistet bleibt. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)


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