Nahost

Europa streitet, USA und Russland handeln

Saudiarabiens Machthaber, Mohammed bin Salman, setzt in politischen Fragen lieber auf die USA.
Saudiarabiens Machthaber, Mohammed bin Salman, setzt in politischen Fragen lieber auf die USA. (c) APA/AFP/GIUSEPPE CACACE
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Europäer sind willkommene Wirtschaftspartner, doch Washington und Moskau haben viel größeren Einfluss.

Istanbul. Vor hundert Jahren waren die Europäer die entscheidenden Akteure im Nahen Osten. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches teilten Frankreich und Großbritannien große Teile der Region untereinander auf und setzten Vasallen als Herrscher in neu gegründeten Staaten ein, um ihren Einfluss auf Dauer zu sichern. Doch spätestens seit der Suez-Krise von 1956 ist die große Zeit Europas im Nahen Osten vorbei. Damals zwang die neue Supermacht USA die Franzosen und Briten mit der Androhung von wirtschaftlichen Strafmaßnahmen dazu, einen Angriff auf Ägypten abzubrechen, und demütigte damit die ehemaligen Kolonialmächte. Heute sind die Europäer zwar als Wirtschaftspartner willkommen; zudem ist Europa ein Traumziel für Migranten aus dem Nahen Osten. Aber wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht, blickt die Region eher nach Washington oder Moskau als nach Brüssel.

Zwei Gründe dafür sind die Zerstrittenheit Europas und die Zurückhaltung beim militärischen Engagement. Nach der Ermordung des saudischen Regimekritikers Jamal Khashoggi durch ein Killerkommando aus der Umgebung von Thronfolger Mohammed bin Salman 2018 war zwar die Entrüstung in Europa groß – doch schon bald gab es Streit um die Frage, ob die EU noch weiter Waffen an Saudiarabien liefern sollte. Deutschland und andere Staaten stellten ihre Lieferungen ein, während Spanien keinen Grund sah, ein Waffengeschäft mit den Saudis abzusagen. Im Libyen-Konflikt liegen die EU-Mitglieder Italien und Frankreich über Kreuz und verhindern so eine aktivere Rolle Europas.

Kaum handlungsfähig ohne die USA

Selbst wenn es einmal Einigkeit gibt, sind die militärischen Mittel der Europäer so begrenzt, dass ihnen schon bald die Puste ausgeht. Als Frankreich und Großbritannien im Jahr 2011 auf Militäraktionen gegen den damaligen libyschen Diktator, Muammar Gaddafi, drängten, stellten die Europäer fest, dass sie ohne die USA nicht handlungsfähig waren. Der damalige US-Verteidigungsminister, Robert Gates, berichtete später, die USA seien durch die Schwäche der Europäer zu einer aktiven Rolle in Libyen gezwungen worden: Den Europäern sei die Munition ausgegangen. Während Europa streitet und zaudert, füllen andere die Lücke. Russland ist inzwischen die wichtigste Militärmacht in Syrien und mischt zunehmend auch in Libyen mit – beides sind Länder, die in der Flüchtlingsfrage sehr wichtig für Europa sind.

Europas Schwächen bleiben den Politikern im Nahen Osten nicht verborgen. So sind Frankreich und Großbritannien als Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zwar wichtige Akteure. Doch Saudiarabien zum Beispiel „konzentriert sich viel mehr darauf, wo die USA und zunehmend auch Russland bei wichtigen Themen der Region stehen“, schrieb der saudische Politologe Faisal Abu al-Hassan in einer Analyse für die Denkfabrik European Council on Foreign Relations. Ähnliches gilt auch für andere Länder im Nahen Osten. Europa redet und kritisiert Menschenrechtsverletzungen, hat aber am Ende keinen großen Einfluss auf den Lauf der Dinge.

Allenfalls wirtschaftlich und im Bereich der finanziellen Unterstützung für in Not geratene Staaten spielen die Europäer mit. Für Israel und Ägypten ist die EU der größte Handelspartner. Auch wenn die Regierungen von Benjamin Netanjahu und Abdel Fattah al-Sisi den amerikanischen Präsidenten, Donald Trump, als mit Abstand wichtigsten Verbündeten sehen, verfügt Europa also über Möglichkeiten, Einfluss auszuüben. Im Irak hat die EU mehr als eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt, um dem Land nach den Angriffen des Islamischen Staates zu helfen. Laut einer Befragung des amerikanischen Instituts Pew Research hat die EU insgesamt einen guten Ruf in der Region. Laut Pew sehen 61 Prozent der Libanesen, 51 Prozent der Israelis und 50 Prozent der Tunesier die EU in einem positiven Licht.

Bisher schaffen es die Europäer aber nicht, dieses Ansehen in politische Vorteile umzumünzen. Der britisch-palästinensische Nahost-Experte Kamel Hawwash forderte in einem Beitrag für die Nachrichten-Website Middle East Eye, die EU müsse klare Positionen beziehen, wenn sie ernst genommen werden wolle: „Kann die EU auch handeln, oder will sie weiterhin nur reden?“, fragte Hawwash in seinem Beitrag vor zwei Jahren. Die Antwort steht noch aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

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