E3 statt EU

Teheran blickt auf die starken Staaten Europas

Der Streit um den Atomdeal hat dem Ansehen Europas in der Islamischen Republik geschadet. Die Union tue zu wenig, glauben viele.r sind willkommene Wirtschaftspartner, doch Washington und Moskau haben viel größeren Einfluss.

Istanbul/Teheran. Appelle und Kritik an Europa gehören für den iranischen Außenminister, Javad Zarif, zum Tagesgeschäft. Wenn es Unruhen in nicht westlichen Staaten gebe, seien die Europäer immer sehr schnell mit Ermahnungen dabei, beschwerte sich Zarif im Frühsommer, als Bilder von Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei in den USA um die Welt gingen. Wenn aber Demonstranten in den USA zusammengeknüppelt würden, dann reagiere Europa mit „donnerndem Schweigen“. Die Gewaltszenen in amerikanischen Großstädten waren für den iranischen Chefdiplomaten eine Gelegenheit, die Europäer mit ihrer angeblichen Heuchelei zu konfrontieren: Das gewaltsame Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten war von Europa scharf verurteilt worden.

Zarifs Demarchen an die Europäer sind jedoch wesentlich zahmer als seine Botschaften an den Hauptfeind USA. Der Iran braucht Europa im Streit mit den USA um das internationale Atomabkommen von 2015. Genauer gesagt: Der Iran braucht die sogenannten E3 – Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Sie kämpfen als Mitunterzeichner des Abkommens für einen Erhalt des Vertragswerkes, seit US-Präsident Donald Trump 2018 den Ausstieg der USA aus der Vereinbarung verkündete. Trumps Schritt hat die E3 auf Konfrontationskurs mit den USA gesetzt, weil die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran auch europäische Firmen treffen, die Geschäfte mit Teheran machen. Viele europäische Unternehmen haben sich deshalb aus dem Iran zurückgezogen. Die E3 suchen nach Möglichkeiten, die europäisch-iranischen Handelswege offen zu halten und den Atomvertrag zu retten. Die E3 sind für den Iran wichtiger als die EU als Ganzes.

Der Streit um den Atomvertrag hat das Ansehen Europas im Iran sinken lassen. Obwohl unabhängige Meinungsumfragen in der Islamischen Republik schwierig sind, geben telefonische Befragungen der Universität von Maryland in den USA einen Einblick in die Weltsicht der Iraner. Demnach sind viele von Europa enttäuscht. Der Atomvertrag versprach dem Iran ein Ende der wirtschaftlichen Isolation und damit einen neuen Aufschwung, doch stattdessen verschärfte Trump die Sanktionen weiter, ohne dass die E3 das verhindern konnten. Nur jeder fünfte Iraner ist laut der University of Maryland davon überzeugt, dass Europa die europäischen Unternehmen bei Iran-Geschäften genügend unterstützt. Rund 75 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Europäer entweder nichts oder zu wenig tun.

Diese Enttäuschung wiegt umso schwerer, als sich viele Iraner den Europäern verbunden fühlen. „Die Iraner lieben Europa und denken europäisch“, sagte der ehemalige Schweizer Botschafter in Teheran, Philippe Welti, vor zwei Jahren in einem Interview: „Der Iran lechzt nach europäischer Kultur.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Stefan Lehne spricht sich im „Presse“-Interview für den Aufbau einer EU-Verteidigungsstruktur aus, glaubt aber, dass es noch lang dauern wird, bis Mitgliedstaaten Souveränität aufgeben werden.
Stefan Lehne

„Die Schwachstelle ist die Außenpolitik“

Der EU-Experte Stefan Lehne sieht Brüssel als wichtigen Faktor in der Weltpolitik, das Problem sei aber, dass die Nationalstaaten ihre Souveränität nicht aufgeben wollen. Dies könne nur durch mehr wechselseitiges Vertrauen überwunden werden.
Weiß-rot-weiß gegen Lukaschenko. Die Massenproteste in Belarus bereiten der EU Kopfzerbrechen: Eine offene Konfrontation mit Russlands Wladimir Putin um die Zukunft des Landes möchte man in Brüssel tunlichst vermeiden.
Osteuropa

Brüssels Balanceakt in der Belarus-Krise

Die EU geht in der Krise vorsichtig vor. Als Reaktion hat sie personenbezogene Sanktionen angekündigt. Eine Zuspitzung des Konflikts mit Russland wie einst in der Ukraine soll unbedingt vermieden werden. Offen ist, ob Moskau die Rufe nach Kooperation erhören will.
Saudiarabiens Machthaber, Mohammed bin Salman, setzt in politischen Fragen lieber auf die USA.
Nahost

Europa streitet, USA und Russland handeln

Europäer sind willkommene Wirtschaftspartner, doch Washington und Moskau haben viel größeren Einfluss.
Chinas Staats- und Parteichef, Xi Jinping, wünscht sich eine möglichst gespaltene Europäische Union.
China/EU

Die Angst Pekings vor einem harten EU-Kurs

Die kommunistische Führung hat Sorge, dass sich die EU dem scharfen Vorgehen der USA gegen die Volksrepublik anschließen wird. Zum ersten Mal seit dem Corona-Ausbruch reist ein chinesischer Spitzendiplomat durch Europa.
Türkei

Der zerbrochene Traum der EU-Mitgliedschaft

Das praktische Ende des Beitrittsprozesses verändert den Blick Ankaras auf die Union. Die Ausrichtung auf Europa ist einem neuen Selbstverständnis gewichen, das die Türkei als Machtzentrum definiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.