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Instrumente: Wie die EU-Außenpolitik ihre Ziele durchsetzt

Brüssel setzt Nachbarschaftspolitik, Diplomatie, Krisenmanagement, aber auch Sanktionen ein. Der Auswärtige Dienst ist dafür die Machtbasis.

Brüssel/Wien. Als sich vor einigen Tagen die Staats- und Regierungschefs der EU per Videokonferenz zu einem Sondergipfel zum Thema Weißrussland trafen, vereinbarten sie mehrere Maßnahmen: Nichtanerkennung des Wahlergebnisses und Sanktionen. Was sich auf den ersten Blick wie hartes Durchgreifen anfühlte, stellte sich letztlich als sehr weich heraus. Wann die Sanktionen in Kraft treten würden, war lang nicht klar, „in Kürze“, hieß es. Lang war auch nicht bekannt, welcher Art diese Sanktionen genau sein würden.

Das Beispiel zeigt, dass eines der Instrumente, das der EU zur Durchsetzung außenpolitischer Interessen zur Verfügung steht, wenig Kraft hat. Es gibt bisher schon EU-Sanktionen gegen Russland, den Iran, Nordkorea etc. Die Effekte haben sich in Grenzen gehalten.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Warum das so ist, hat mehrere Gründe. Im konkreten Fall von Belarus hält Kremlchef Putin weiter seine schützende Hand über Lukaschenko, und die EU will sich nicht direkt mit dem Kreml anlegen. Dazu kommt die Uneinigkeit der Mitglieder, wie weit man gehen soll – so einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Das Dilemma hat strukturelle Gründe. Bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaften war keine gemeinsame Außenpolitik vorgesehen, diese blieb eine Domäne der Mitgliedstaaten. Erst nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass es effektiver wäre, auch in Außenpolitikfragen mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Und so entstand in den Neunzigern die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), die von der GASP, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, abgelöst wurde.

Die Wende kam mit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. 12. 2009 in Kraft trat und die GASP konkretisierte. Erstmals wurden die Grundlagen der Außenpolitik genau definiert. Konkret heißt es da: Die EU wolle mit ihrer Außenpolitik „ihre grundlegenden Interessen, ihre Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Unversehrtheit wahren“. In einem weiteren Punkt des EU-Vertrages heißt es, dass es auch Ziel der Außenpolitik sei, weltweit Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu fördern, zur Beseitigung der Armut in der Welt beizutragen und eine verantwortungsvolle Weltordnungspolitik zu fördern.

Hoher Vertreter zugleich EU-Vize

Mit Lissabon wurden zugleich auch Instrumente geschaffen, um die EU-Außenpolitik effektiver zu machen. Das war in erster Linie das Amt des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik. Was diesen Posten von der schon vorher existierenden Funktion eines Hohen Vertreters unterschied, war das Faktum, dass der neue Hohe Vertreter auch Vizepräsident der EU-Kommission ist und damit stark aufgewertet wurde. Erste „EU-Außenministerin“ wurde die Britin Catherine Ashton, ihr folgte 2014 die Italienerin Federica Mogherini. In der neuen Kommission hat seit Dezember 2019 dieses Amt der Spanier Josep Borrell inne.

Ihm steht ein großer und wichtiger Apparat zur Verfügung, der auch durch den Lissabon-Vertrag geschaffen wurde: der Europäische Auswärtige Dienst (EAD). Mehr als 3600 Personen arbeiten für den EAD, der Großteil in den über 130 Delegationen in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen. De facto ist der EAD so etwas wie ein EU-Außenministerium, und die Delegationen sind die Botschaften. Also ein beachtlicher Apparat, in dem die Außen- und Sicherheitspolitik der Mitgliedstaaten koordiniert sowie Lösungen in Krisenfällen formuliert werden.

Für Konfliktfälle sieht die EU-Außenpolitik in erster Linie diplomatische Lösungen vor, die mit zivilen Mitteln lösbar sind. Dazu gibt es im EAD einen eigenen zivilen Planungs- und Durchführungsstab, der Polizisten, Rechtsexperten und Verwaltungsexperten koordiniert.

Koordination von Friedenseinsätzen

Im EAD gibt es freilich auch einen eigenen Militärstab, der in Fällen, in denen keine zivile Befriedung möglich ist, eingreifen kann. Dieser Stab setzt Friedenseinsätze um, die von den Mitgliedstaaten beschlossen werden, welche die dafür notwendigen Soldaten entsenden. Um rasch eingreifen zu können, stehen EU-Kampftruppen zur Verfügung, die sogenannten Battlegroups.

Die EU fördert aber auch mit der Entwicklungszusammenarbeit Projekte in ärmeren Ländern. Dafür stehen immerhin rund 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung, um so den Wohlstand in diesen Ländern zu heben. Eine weitere Milliarde wird für humanitäre Hilfe bereitgehalten – etwa nach Naturkatastrophen.

Zu den wichtigsten Instrumenten der EU-Außenpolitik zählt die Beitrittspolitik. Die EU bietet interessierten Staaten die Mitgliedschaft an, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen wie etwa funktionierende Marktwirtschaft, demokratische Strukturen und Übernahme der EU-Regeln. Mit einer Beitrittsambition sind auch unterschiedlich hohe finanzielle Unterstützungen verbunden. Aktuell befinden sich mehrere Westbalkan-Staaten in der Warteschleife, entweder als bereits anerkannte oder potenzielle Kandidaten.

Mit der Türkei laufen schon seit 2005 Beitrittsverhandlungen. Allerdings liegen diese angesichts der Politik der derzeitigen Regierung völlig auf Eis. Ein totaler Abbruch wird nur deshalb nicht erwogen, weil sonst die letzten Kanäle nach Ankara geschlossen würden.

Eng mit der Beitrittspolitik verbunden ist auch die Nachbarschaftspolitik. Die EU bietet unmittelbaren Nachbarn Unterstützung im Handel, bei der wirtschaftlichen Entwicklung und bei der Reform rechtsstaatlicher Institutionen an. Für die Umsetzung der Nachbarschaftspolitik stehen pro Jahr zwei Milliarden Euro zur Verfügung. Aktuell betrifft dies hauptsächlich den Westbalkan. Aber Europäische Nachbarschaftspolitik (EPN) wird auch den Anrainern im Mittelmeerraum angeboten.

Auch in Richtung Osten ist Nachbarschaftspolitik vorgesehen, konkret sind damit die Ukraine, Moldau und die Kaukasus-Staaten sowie auch Belarus gemeint. Hier kommt die EU oft in Konflikt mit der Politik Moskaus, das diesen Staaten ebenfalls wirtschaftliche Angebote macht. Im Prinzip besteht auch mit Russland eine „strategische Partnerschaft“, die aber seit dem Georgien-Konflikt und der Krim-Annexion weitgehend auf Eis liegt.

Wiederbelebte Afrika-Strategie

Auch gegenüber Afrika hat die EU schon vor Jahren eine Strategie entwickelt, die Hilfe im Kampf gegen die Armut und für den Wirtschaftsaufbau vorsieht. Die Kommission hat angekündigt, diese etwas eingeschlafene Strategie wiederzubeleben.

Im Grunde ist eines der wichtigsten Instrumente der EU-Außenpolitik die klassische Handelspolitik, auch damit können politische Vorstellungen durchgesetzt werden. Als wichtige Beispiele dafür gelten die EU-Abkommen, die mit Japan, Kanada oder Südamerika geschlossen wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

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