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Das Gewissen der Salzburger Festspiele

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Ein stattlicher Band versammelt die „Festspiel-Dialoge“, die 21 Jahre lang das Kulturprogramm begleiteten.

Mit den Salzburger Festspielen verbindet man landläufig eine Fülle an Oper, Konzert und Theater, vielleicht auch Glamour und High Society. Wesentlich für den Festspiel-Gedanken ist jedoch auch der Diskurs, der im besten Fall zum platonischen Dialog wird. Darum hat sich der Salzburger Rechtsphilosoph, Soziologe und Politologe Michael Fischer besonders verdient gemacht. Mit dem damaligen Intendanten, dem Belgier Gerard Mortier (wie Fischer 2014 gestorben), schuf er 1994 die „Festspiel-Dialoge“. Salzburg sollte nämlich als europäisches Gedächtnis agieren, meinte er, die prägenden Mythen erzählen, für den Kontinent identitätsstiftend sein. Sie seien „das Gewissen der Salzburger Festspiele“, sagte Mortier. Sie sind also Seelenarbeit.

21 Jahre lang befasste sich Fischers Forum mit den Themen und Inszenierungen der jeweiligen Saison, begleitete sie geistes- wie sozialwissenschaftlich und weit über diese Fakultäten hinaus. Künstler, Journalisten, Naturwissenschaftler beteiligten sich. Nun, zum 100. Jubiläum des Festivals, hat der Verlag Anton Pustet als Summa dieser Veranstaltungen die „Festspiel-Dialoge“ publiziert: ein stattlicher Band mit 543 Seiten, herausgegeben von Michael Fischers Witwe Ilse Fischer und Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, unter Mitarbeit von Margarethe Lasinger und Ingeborg Schrems.

Ästhetizismus, Utopie, Barbarei

Die Liste der 39 Autoren reicht von den Kulturwissenschaftlern Aleida und Jan Assmann bis zum Übersetzer und Journalisten Stefan Zweifel. Karl Heinz Bohrer, Thea Dorn, Barbara Frischmuth, Ingrid Hentschel, Eric Hobsbawm, Wolf Lepenies, Nike Wagner haben in Salzburg vorgetragen. Begonnen wurde 1994 mit dem Thema „Warum brauchen wir Utopien, die scheitern?“, der letzte Dialog unter Fischer befasste sich mit „Ästhetizismus und Barbarei. 1914–2014“. Dazwischen ging es um Wende- und Endzeiten, öfter um Liebe und großes Gefühl, aber auch um die Nachtseite der Vernunft sowie um Spiel und Terror.

Wer sich im Jubiläumsjahr alte Aufführungen ansieht, kann das mit der Lektüre der Dialoge sinnvoll ergänzen. Worüber redeten die gescheiten Leute zum Beispiel, als 2004 wieder einmal „Der Rosenkavalier“ gegeben wurde? Über „Amor et Passio“. Intendant Peter Ruzicka schwärmte in seiner Rede, dass die Zeit dieser Oper nichts anzuhaben scheine. Und zitierte Thomas Mann, der 1949 zur Suite aus dem „Rosenkavalier“ in seinem Tagebuch vermerkt hatte: „Ist doch eine höchst liebenswürdige Musik.“ Höchst belehrend und auch unterhaltend sind diese Dialoge. Man sollte weiterreden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

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