Quergeschrieben

Warum das Verhüllungsverbot jetzt außer Kraft gesetzt werden muss

Widerspruch mit Folgen: keine gesetzliche Definition der „Mund-/Nasenbereich abdeckenden Schutzvorrichtung“. Niqab in der Bim okay, aber auf der Straße nicht.

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Wiener Straßenbahnlinie Nr. 1. Eine junge Frau mit Niqab, dem islamischen Gesichtsschleier. In öffentlichen Verkehrsmitteln herrscht Maskenpflicht. Mund und Nase sind bedeckt. Sie verstößt mit ihrer Bekleidung nicht gegen das Verbot der Gesichtsverhüllung vom 1. Oktober 2017.

Dieses Gesetz sieht nämlich Ausnahmen vor. Dazu zählen „gesundheitliche Gründe“ wie Infektionsgefahr und ausdrücklich Mund- und Nasen-Schutzmasken etc. Also kann die junge Frau in der Straßenbahn nicht abgestraft werden. Was aber, wenn sie diese verlässt und im öffentlichen Raum keine Maskenpflicht, aber auch kein Verbot herrscht?

Auf Anfrage weisen Justiz- und Gesundheitsministerium kurz und bündig auf die Ausnahmen im Verhüllungsverbotsgesetz hin. Nur das Innenministerium geht in seiner Stellungnahme auf Nachfrage näher darauf ein. Ressortsprecher Patrick Maierhofer: „Gerade im Hinblick auf das verpflichtende Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung (MSN) in gewissen Bereichen und Situationen wird in der Regel eine Gesichtsverhüllung gerechtfertigt sein (Covid-19-Lockerungsverordnung).“ Die „Schutzvorrichtung“ sei aber gesetzlich nicht definiert. Ein Niqab würde daher der Covid-19-Verordnung grundsätzlich entsprechen.

Allerdings stelle sich die Frage der Strafbarkeit an Örtlichkeiten, die von der Verordnung nicht erfasst werden, wo also keine Maskenpflicht besteht. Hier weist Maierhofer ausdrücklich auf das „Verlassen von öffentlichen Verkehrsmitteln“ hin. Das würde also im Fall der jungen Frau bedeuten: Im Wagen der Linie 1 ist eine Strafbarkeit jedenfalls ausgeschlossen. Auf der Straße jedoch nicht: Hier müsste sie die Gründe für die Gesichtsverhüllung aus „gesundheitlichen Gründen“ glaubhaft machen, um einer Verwaltungsstrafe von 150 Euro zu entgehen.
Maierhofer dazu: „Es muss vom jeweiligen Polizeibeamten im Einzelfall vor Ort beurteilt werden, ob eine Verwaltungsübertretung vorliegt.“ Letztlich werde das bei einer Anzeige des Polizisten von der Behörde entschieden. Alles klar? In der Straßenbahn, in der Apotheke oder im Supermarkt auf der straffreien Seite, dazwischen aber nicht.

Möglicherweise wurde das Gesundheitsministerium nach dem Verhalten einiger Polizisten während des Lockdown und nach Tausenden rechtswidrigen Strafen auf dieses Problem aufmerksam und hat es in der jetzt so umstrittenen Novelle zum Covid-Gesetz eingearbeitet. Man wird es im endgültigen Entwurf wissen.

Die einzige saubere Lösung wäre, das Gesetz von 2017 für die Dauer der Coronakrise außer Kraft zu setzen. Für den Verfassungsrechtler Heinz Mayer, der die jetzige Situation ebenfalls für „absurd“ hält, wäre das für die Geltungsdauer der Covid-Gesetze kein rechtliches Problem. Anderswo, in Frankreich etwa, beschäftigte man sich mit dem Widerspruch, den islamischen Gesichtsschleier zu verbieten, Covid-Schutzmasken aber anzuordnen, bereits im Mai. Laut „Standard“ hielt die Verfassungsrechtlerin Peyroux-Sissoko diesen Widerspruch für „spaßig“. Zuvor hatte sich bereits die „Washington Post“ lustig gemacht: Vor der Pariser Metro verlange man von einer Muslimin, den Schleier abzulegen, in der Metro gelte dann das Verhüllungsgebot.

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