Deutschland

„Geschafft hat mich nichts“

Fünf Jahre nach „Wir schaffen das!“ stand Angela Merkels Sommerauftritt vor der Presse im Zeichen einer anderen Krise.

Berlin. Im Haus der Bundespressekonferenz am Ufer der Spree, nur einen Steinwurf vom Kanzleramt entfernt, hat Angela Merkel (CDU) am 31. August 2015 den prägendsten Satz ihrer Kanzlerschaft formuliert: „Wir schaffen das!“ Ganz erwartbar zielte fünf Jahre später am selben Ort die erste Journalistenfrage auf jenen Einzeiler, von dem Merkel sagt, er habe sich „ein bisschen verselbstständigt“. Also: Wer oder oder was hat denn die Kanzlerin in den vergangenen fünf Jahren „geschafft“? „Ich sitze ja noch hier, also geschafft hat mich eigentlich nichts“, sagt Merkel. Wobei es ihre vorletzte Sommerpressekonferenz als Kanzlerin ist. Bei der Wahl im Herbst 2021 tritt die zurzeit populärste Politikerin Deutschlands nicht mehr an.

Ihre Flüchtlingspolitik verteidigte Merkel kurz erneut. „Ich würde die wesentlichen Entscheidungen wieder so fällen“, sagte sie. Wenn Flüchtlinge an der Grenze stünden und auf Schutz hofften, „dann muss man sie als Menschen behandeln“. In der Coronakrise käme es der Kanzlerin aber nicht „in den Sinn“, noch einmal ein „Wir schaffen das!“ zu formulieren: „Jede Krise hat ihre eigene Sprache.“ Ihr wirkmächtigster Satz in dieser Pandemie lautet wohl: „Das Virus ist eine demokratische Zumutung.“ Den Satz sagt sie am Freitag. So ähnlich hatte sie das schon früher formuliert. Die 66-Jährige bereitete die Deutschen auf einen schwierigen Coronaherbst vor. Die Lage sei „unverändert ernst“. Mit einem harten Lockdown wie im Frühjahr 2020 rechnet Merkel aber nicht: „So wird es nicht wieder sein. Wir werden es etwas besser machen können.“

Deutschland ist schon bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner war zuletzt niedriger als in Österreich. Die Regierung hat zudem gewaltige Hilfspakete geschnürt und, nicht unumstritten, vereinbart, das erleichterte Kurzarbeitergeld bis Ende 2021 zu verlängern. Deutschland profitiert dabei von Jahren der Budgetüberschüsse. Merkel sagt, es sei richtig gewesen, in guten Zeiten auf das „süße Gift“ neuer Schulden zu verzichten. Nun sei aber eine hohe Verschuldung nötig. Sonst sei man noch länger „in der Kralle der Pandemie“.

Ein Ritt um die Welt

Merkels Sommerpressekonferenz gilt als Fixpunkt im Kalender der Hauptstadtpresse. Da sich die medienscheue Kanzlerin dann eineinhalb Stunden Zeit nimmt für einen Ritt um die Welt. In einen Moment redete Merkel sachlich-nüchtern über das Lieferkettengesetz, im nächsten verteidigte sie ihren Einsatz für die Skandalfirma Wirecard in China („ist Usus“) oder sinnierte vorsichtig diplomatisch über das frostige Verhältnis zu Russland. Fragen zum Kampf um ihr Erbe beantwortete die Kanzlerin genauso lakonisch wie jene nach Plänen für ihren Ruhestand: „Ich bin optimistisch, dass mir etwas einfällt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2020)

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