Wort der Woche

Mikro-Abbau

Im Meer befinden sich noch größere Mengen an Mikroplastik als bisher gedacht. Die Natur hat indes auch Mittel und Wege parat, um die Plastikpartikel abzubauen.

Kaum eine Woche vergeht ohne neue Erkenntnisse über Mikroplastik. Es sind nur selten gute Nachrichten. Forscher des britischen National Oceanography Centre ließen in der Vorwoche gar eine echte Bombe platzen: Sie berichteten, dass man die Mengen an Plastikmüll im Atlantik bisher deutlich unterschätzt habe (Nature Communications, 18. 8.). Zu diesem Ergebnis kamen sie mit einer neuen Methode, die erstmals sämtlich Größen von Plastikpartikeln aus dem Wasser filtern und quantifizieren kann. An zwölf Stellen im Atlantik zogen sie Proben und rechneten daraus hoch, dass sich in den obersten 200 Metern des Atlantikwassers zwischen 11,6 und 21,1 Millionen Tonnen Mikroplastik befinden – und das allein von den drei häufigsten Kunststoffsorten Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polystyrol (PS).

Eine gigantische Menge. Was geschieht damit im Wasser? Eine südafrikanische Forschergruppe um Sheena Kumari versuchte kürzlich, alles Wissen über die Aktivität von Mikroorganismen in Bezug auf Mikroplastik in einem Überblicksartikel zu sammeln (Science of the Total Environment, 2. 7.). Die häufigste Phrase darin lautet zwar, dass wir die Zusammenhänge noch nicht genau verstehen. Aber immerhin scheint klar zu sein, dass es natürliche Prozesse gibt, die die Plastikpartikel abbauen. Laut niederländisch-belgischen Forschern verliert Plastikmüll im Meerwasser jährlich ein Prozent der Masse, bei manchen Plastiksorten auch mehr (Scientific Reports, 2. 7.). Für zwei Plastiksorten (PET und PUR) konnte man in Bakterien und Pilzen bereits entsprechende Enzyme identifizieren. Auch PE und PP werden von Mikroorganismen angeknabbert – über welche Stoffwechselwege und v. a. wie rasch dies geschieht, weiß man noch nicht genau.

Auf einen anderen Abbauweg stieß eine finnisch-italienische Forschergruppe: Durch den UV-Anteil des Sonnenlichts werden im Meerwasser starke Oxidationsmittel gebildet (etwa Hydroxyl-Radikale), die Mikroplastik in kleinere organische Moleküle zerlegen, die dann von Mikroorganismen als Nahrung genutzt werden (Science of the Total Environment, 20. 6.).

Dass die Natur offenbar Mittel und Wege hat, um sogar synthetische Polymere abzubauen, darf uns aber nicht in einer falschen Sicherheit wiegen, dass eh alles nicht so schlimm sei. Plastikmüll hat in der Umwelt nichts verloren! Es ist unsere Pflicht, alles zu unternehmen, um die Verschmutzung möglichst gering zu halten.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2020)

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