Minsk

Hunderte Festnahmen bei Protesten in Belarus

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Ein Großaufgebot von Polizei und Armee geht gegen Demonstranten in Minsk vor. Seit 9. August dauern die Proteste an.

In Belarus sind bei neuen Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko einem Medienbericht zufolge über 100 Demonstranten festgenommen worden. Die russische Nachrichtenagentur RIA meldete am Sonntag unter Berufung auf das Innenministerium in Minsk, die Polizei habe in der Hauptstadt 125 Personen festgesetzt. Augenzeugen sagten, einige Personen hätten sich dem Versuch einer Festnahme mutmaßlich durch Zivilpolizisten widersetzt.

Am frühen Nachmittag war in Berichten unabhängiger Medien zunächst von nur 30 Personen die Rede. Einem Video zufolge kam es vor dem Gebäude des Geheimdienstes KGB zu einem Handgemenge zwischen Sicherheitskräften in Zivil und Demonstranten, als die Polizisten offenbar willkürlich Menschen festnehmen wollten.

Wegen der Proteste der Opposition war in Minsk ein Großaufgebot an Sicherheitskräften im Einsatz. Auf dem Platz der Unabhängigkeit im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt waren zahlreiche Einsatzkräfte der Polizei zu sehen, wie eine Journalistin berichtete. Auch vermummte und bewaffnete Soldaten waren zu sehen.

Uniformierte kesseln Demonstranten ein

Auch auf Videos und Bildern war zu sehen, wie die Uniformierten hauptsächlich Männer abführten. Nur vereinzelt waren es Frauen. Zu hören waren Schreie. Demonstranten riefen den Polizisten "Schande" entgegen.

Uniformierte versuchten mit Geländewagen, die an der vorderen Stoßstange hohe Metallgitter hatten, die Menschen im Zentrum zurückzudrängen. Zu sehen war auf Bildern, wie sich Frauen davor auf die Straße legten. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort. Auch Wasserwerfer wurden in Stellung gebracht.

Die Proteste verteilten sich wegen der Sperrung des Unabhängigkeitsplatzes im Zentrum der Hauptstadt diesmal auf verschiedene Stellen im Stadtzentrum. Immer wieder kesselten Uniformierte die Bürger ein.

Die Gegner von Staatschef Alexander Lukaschenko hofften, ähnlich viele Menschen auf die Straße zu bringen wie an den zwei vorherigen Wochenenden. Jeweils fast 100.000 Menschen hatten für ein Ende der seit 26 Jahren währenden Herrschaft Lukaschenkos demonstriert.

Das Innenministerium warnte die Bürger davor, an der ungenehmigten Kundgebung teilzunehmen - und drohte mit Gewalt. Viele sagten, dass sie friedlich seien und keine Angst hätten. Die Demokratiebewegung hatte zum Protest aufgerufen. An seinem Geburtstag solle Lukaschenko sehen, dass das Volk gegen ihn und seine Zeit an der Macht nach 26 Jahren abgelaufen sei, hieß es. Aktionen gab es auch in anderen Städten des Landes, darunter Brest und Grodno.

Seit drei Wochen anhaltende Proteste

In Minsk und anderen Städten des Landes wird seit dem 9. August täglich gegen Lukaschenko demonstriert. Am Samstag gingen rund tausend Frauen in der Hauptstadt auf die Straße, um Neuwahlen und die juristische Verfolgung von Sicherheitskräften wegen gewaltsamer Übergriffe und Folter zu fordern.

Im Vorfeld der geplanten Großkundgebung hatten die weißrussischen Behörden einer Reihe von Journalisten die Akkreditierung entzogen. Davon waren unter anderem Mitarbeiter von großen internationalen Medien wie AFP, AP, BBC und Radio Liberty sowie ein Kamerateam der ARD betroffen. Dagegen legten Deutschland und die USA Protest ein. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Behinderung der Pressefreiheit in einer Erklärung vom Samstagabend "nicht akzeptabel".

Die nach Litauen geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erklärte zu den Berichten über das Vorgehen gegen Journalisten: "Wenn das wahr ist, ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass das Regime moralisch bankrott ist und der einzige Weg, wie es sich an der Macht halten kann, Angst und Einschüchterung sind."

Die Protestbewegung in Belarus wirft der Regierung massiven Betrug bei der Präsidentschaftswahl vor, die Amtsinhaber Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Auch die EU erkennt das Wahlergebnis nicht an. Wegen der Gewalt gegen friedliche Demonstranten bei Protesten, in deren Zuge bereits fast 7.000 Menschen festgenommen wurden, brachten die EU-Außenminister Sanktionen auf den Weg.

Lukaschenko setzt in der Krise auf seine Unterstützung durch Russlands Staatschef Wladimir Putin, gegebenenfalls auch mit einem Militäreinsatz gegen die oppositionellen Demonstranten. Putin telefonierte am Sonntag mit Lukaschenko, um ihm zum 66. Geburtstag zu gratulieren. Der russische Präsident versprach "die Stärkung des russisch-weißrussischen Bündnisses und die Entwicklung der Zusammenarbeit in allen Bereichen", wie der Kreml mitteilte.

Angesichts der schweren politischen Krise in Weißrussland rief die katholische Kirche unterdessen zu Gebeten für das Land auf. Die Menschen sollten im September für die Fürsprache des Erzengels Michael beten, "die Eskalation des Konflikts zu beenden und die Krise schnell zu lösen", heißt es in einem Hirtenbrief des Minsker Erzbischofs Tadeusz Kondrusiewicz, der am Sonntag in den katholischen Kirchen des Landes verlesen wurde, wie Kathpress berichtete. Der Erzengel Michael ist Hauptpatron der Kirche in Belarus.

„Gesellschaftspolitische Krise“ 

"Unser Vaterland erlebt eine gesellschaftspolitische Krise ohnegleichen, die Tag für Tag größer wird", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Weißrussland demnach im Hirtenbrief. Blut sei vergossen worden und viele Menschen seien verletzt worden. Die Spaltung der Gesellschaft nehme zu. Immer mehr mache die Runde, dass die "Gefahr des Bürgerkriegs" zunehme.

Kondrusiewicz hatte am Donnerstag Kathpress zufolge die Blockade der Türen einer katholischen Kirche in Minsk durch bewaffnete Polizisten der Spezialeinheit Omon scharf verurteilt. In der Kirche seien am Mittwochabend mehrere Dutzend Demonstranten für 40 Minuten eingesperrt worden, die dorthin vor der Polizei geflohen seien. Es handle sich um eine "grobe Verletzung der Rechte der Gläubigen und der Religionsfreiheit", so der Erzbischof. Er forderte eine Bestrafung der Verantwortlichen des "unangemessenen und rechtswidrigen" Polizeieinsatzes.

Der katholischen Kirche gehören etwa 10 bis 15 Prozent der 9,5 Millionen Weißrussen an. Die überwiegende Mehrheit der Bürger des Landes sind orthodoxe Christen.

(APA/DPA)

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