China: Der Protestmarsch der Beerenpflücker

China Protestmarsch Beerenpfluecker
China Protestmarsch Beerenpfluecker(c) REUTERS (TYRONE SIU)
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Chinesische Erntehelfer sollen mit falschen Lohnversprechen nach Schweden gelockt worden sein. Unklar ist, ob die Schuld bei den chinesischen Vermittlern oder den schwedischen Auftraggebern liegt.

Wien (b.l./ag.). Am Freitag sorgte ein Protestmarsch von 200 chinesischen Beerenpflückern in Nordschweden für Aufsehen. Die Saisonarbeiter zogen laut schwedischen Medien am Donnerstagabend von ihren Quartieren im lappländischen Langsjöby in Richtung des regionalen Verwaltungszentrums Storuman. Am Freitagvormittag ließen sie sich auf halber Strecke resigniert am Straßenrand nieder. Die Bevölkerung versorgte sie mit Essen und Getränken.

Zuvor waren Gespräche mit Vertretern einer chinesischen Leiharbeitsfirma ergebnislos verlaufen. Die Chinesen sollen mit falschen Lohnversprechen nach Schweden gelockt worden sein. Dort stellten sie fest, dass der Lohn nicht reichen würde, um die Reisekosten zu decken und die dafür aufgenommenen Schulden zu zahlen.

Unklar ist, ob die Schuld bei den chinesischen Vermittlern oder den schwedischen Auftraggebern liegt. Letztere sprachen laut der schwedischen Zeitung „Västerbottens-Kuriren“ von „unglücklichen Umständen“. Die chinesische Leiharbeitsfirma habe die Arbeiter falsch informiert. Unter anderem dürfte Unklarheit darüber herrschen, inwieweit die Arbeiter selbst für Unterkunft, Essen und Fahrzeuge aufkommen müssen.

In China komme es häufig vor, dass Firmen Arbeiter kasernieren, berichtet Waltraut Urban, China-Expertin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Die Beschäftigten erhielten Quartiere und billige Verpflegung, würden ihre Unterkünfte aber nicht verlassen. Auch in afrikanischen oder arabischen Ländern, wo chinesische Arbeiter häufig zum Straßenbau eingesetzt werden, halten die Firmen das ähnlich– oft zum Missfallen der einheimischen Bevölkerung, die nicht von der Kaufkraft der chinesischen Arbeiter profitieren kann.

Chinesen nicht mehr billig

Europa sei wegen der Schwierigkeiten, Visa zu erhalten, nicht die Topdestination der Chinesen, stellt die Expertin fest. Doch auch in Rumänien habe es schon Probleme mit Textilfirmen gegeben, die chinesischen Arbeitern einen Einjahresvertrag versprochen hatten, sie dann aber nur mit einem Touristenvisum für wenige Monate ins Land holten.

In Schweden mussten auch im Vorjahr Beerenpflücker aus Vietnam und Thailand unverrichteter Dinge die Heimreise antreten, weil die Ernte so schwach ausgefallen war. Seit heuer gibt es neue Regeln, wonach ausländische Beerenpflücker einen Mindestlohn von umgerechnet 1745 Euro erhalten müssen. Einige Firmen umgehen diese Regelung aber mit doppelten Verträgen (einem offiziellen und einem inoffiziellen). Laut dem jüngsten Migrationsbericht der OECD leben in Schweden offiziell 9400 Chinesen, etwa gleich viele wie in Österreich.

Typische Billigarbeiter sind die Chinesen längst nicht mehr. Das bekommt etwa die ägyptische Textilindustrie zu spüren, in der früher viele Chinesen tätig waren. Inzwischen müssen diese Firmen auf Arbeiter aus Indien oder Bangladesch zurückgreifen. „Das Lohnniveau in China ist gar nicht mehr so niedrig“, stellt Urban fest. In den vergangenen Jahren seien die Reallöhne Jahr für Jahr zweistellig angestiegen, vor allem im Süden, wo sich viel Elektronikindustrie angesiedelt hat. Der Mindestlohn beträgt derzeit umgerechnet 103 Euro pro Monat. Tendenz steigend. Qualifizierte Arbeiter erhalten entsprechend mehr.

Nicht zuletzt deshalb hat der Elektronikhersteller Foxconn kürzlich einen Teil seiner Produktion in die zentralchinesische Provinz Henan verlegt, wo die Löhne niedriger sind. In der südchinesischen Stadt Shenzhen musste das Unternehmen die Löhne um 70 Prozent auf umgerechnet 226 Euro anheben, nachdem es wegen einer Selbstmordwelle, die auf schlechte Arbeitsbedingungen zurückgeführt wird, in die Kritik geraten war.

Die chinesische Billigproduktion wandere zunehmend auch nach Vietnam, Laos oder Bangladesch aus, berichtet Urban.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2010)

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