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Leute, geht lieber nicht ins Exil!

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In Johanna Moders Tragikomödie „Waren einmal Revoluzzer“ flieht eine russische Familie und kommt bei Wiener Freunden unter. Doch wie lang währt die Hilfsbereitschaft?

Schnitze das Leben aus dem Holz, das du hast“, zitiert Pavel den großen Schriftsteller Leo Tolstoi, der allerdings ein Graf in gesicherten Verhältnissen war. Pavel will mit dem Spruch seinen österreichischen Gastgebern vor Augen führen, wie wenig Macht man über das eigene Dasein hat. Das ist die Erfahrung des jungen Russen, gerade hat er mit seiner Frau Eugenia und dem gemeinsamen Sohn seine Heimat verlassen, Eugenia wird wegen oppositioneller Umtriebe per internationalem Haftbefehl gesucht. Freunde gewähren dem Paar Zuflucht in Wien, doch ihre Geduld mit den Exilanten ist aufgebraucht, bevor für Pavel und Eugenia überhaupt eine dauerhafte Bleibe gefunden wurde.

Migration ist ein großes Thema in der Kunst, doch meist werden extreme Perspektiven gewählt, etwa in David Wnendts „Kriegerin“, einem Film, der im rechtsradikalen Milieu spielt. Oder es geht allzu lustig zu wie in „Willkommen bei den Hartmanns“ von Simon Verhoeven. Johanna Moders „Waren einmal Revoluzzer“ wirkt zwar auch ein wenig konstruiert, aber die Charaktere und ihre Reaktionen erscheinen höchst realistisch.

Am längsten hält Künstlerin Tina (Aenne Schwarz) die humanitäre Hilfsaktion durch, am schnellsten das Handtuch wirft ihr Freund, der Psychotherapeut Volker (Marcel Mohab): Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann, weiß Volker vom Umgang mit seinen Patienten. Er ist ein Egoist, doch auch Musiker Jakob wird bald grantig; gespielt wird dieser von Multitalent Manuel Rubey, der Singer-Songwriter, Film- und Theaterschauspieler sowie Autor ist (sein berührendes Buch „Einmal noch schlafen, dann ist morgen. Loblied auf das Jetzt“ erschien beim Molden-Verlag).

Im Waldviertel eskaliert die Sitaution

Die Herren haben also rasch genug von den Flüchtlingen aus Putins Land, die Frauen geben sich Mühe. Aber für Richterin Helene (Julia Jentsch), die mit Jakob zwei Töchter hat, wird der Kontakt mit der steckbrieflich gesuchten Eugenia (Lena Tronina) alsbald existenzgefährdend, umso mehr als Pavel (Tambet Tuisk) seine Freunde in Helenes Wohnung bringt und die Juristin an ihrer Arbeitsstelle aufsucht.

Die Stimmung im winterlichen Wien und im noch winterlicheren Moskau passt zur Stimmung der Gruppe. Im Waldviertel, wo Helene und Jakob ein Haus haben – Jakob will dort an seinem neuen Album arbeiten –, eskaliert schließlich die Situation. Doch zeigen sich auch die Ambivalenzen im Verhalten der Gastgeber und der Emigranten. Die einen wollen hilfsbereit sein, die anderen Geduld zeigen und nicht nerven.

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Den Wienern wird ihr streng geregelter Tagesablauf vor Augen geführt, in dem für Spontaneität kaum Platz ist, auch die Beziehungen geraten ins Wanken. Für Pavel wiederum ist ein eng eingeteilter Tagesablauf ein Fremdwort, er versteht sich aufs Improvisieren, er spielt mit den Kindern und musiziert ein Lied auf Jakobs Gitarre. Gemeinsam besucht die Gruppe den Jahrmarkt, und der misstrauische Nachbar in dem kleinen Waldviertler Ort bringt Feuerholz und trinkt ein Gläschen mit den „Eindringlingen“. In einer kurzen Szene ist Volkers Vater, ebenfalls im Psycho-Business tätig und Autor eines „Ich“-Buchs, wie sie derzeit in Mode sind, zu erleben: Josef Hader spielt diesen grämlichen Typen, der seinen ewigen Buben, der Hilfe für die Russen erheischt („Was ist mit deinen Freimaurer-Freunden?“), auffordert, endlich erwachsen zu werden.

Moder hat das österreichische Wesen durchschaut

Der Schluss des Films wirkt angesichts der Annäherungen zuvor etwas krass und eurozentrisch. Allerdings entspricht er wohl den Realitäten bei solchen Versuchen, zusammenzuzwingen, was oft nicht zusammengeht: Menschen aus Ländern, in denen sie tagtäglich ernsten Bedrohungen ausgesetzt sind, und mittelständische EU-Bürger, die vergessen haben, was es bedeutet, sich nicht auf einen Rechtsstaat oder eine gewisse soziale Sicherheit verlassen zu können.

Das österreichische Wesen, erst gutwillig, dann abweisend, dann wieder freundlich usw. hat Moder präzise durchschaut. Ihr Film ist allerdings illusionslos und sagt: Leute, geht lieber nicht ins Exil! Weltverbesserung findet im Westen allenfalls im Kopf oder in Altbauwohnungen nach einigen Gläschen Chianti zu viel statt.

Auffallend ist die Parallele zwischen 1968er-Revolutionären und heutigen Menschen in der Midlife-Crisis: Der Weg von Experimenten in der Liebe und politischem Engagement zum Establishment, von jugendlichem Überschwang zur letztlich viel Zwänglichkeit erzeugenden Ordnung in allem und jedem scheint in jeder Generation vorgezeichnet zu sein, wenn auch die Rahmenbedingungen unterschiedlich sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2020)

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