Verbrechen

Russisches Vergiftungsopfer: „Die Symptome gleichen sich“

(c) REUTERS (EVGENIA NOVOZHENINA)
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Aktionskünstler Pjotr Wersilow wurde ähnlich wie Alexej Nawalny Opfer einer Giftattacke. Er beschuldigt die russischen Behörden, die Aufklärung des Anschlags durch „aggressives Nichtstun“ verunmöglicht zu haben.

Moskau. In der Berliner Charité, wo Alexej Nawalny derzeit behandelt wird, wurde zwei Jahre vor ihm ebenfalls ein Russe mit Vergiftungssymptomen eingeliefert. Sein Name: Pjotr Wersilow. Wersilow ist Aktionskünstler, Mitglied der Kunst-Kollektive „Woina“ (Krieg) und „Pussy Riot“. In den späten Nullerjahren führte „Woina“ mehrere Kreml-kritische Kunstaktionen im öffentlichen Raum durch. Politisch provokant, spektakulär, mit ordentlichem Trash-Faktor. Später trat Wersilow als Mitglied der Gruppe „Pussy Riot“ in Erscheinung. Mit „Pussy Riot“-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa war er verheiratet, die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Im Juli 2018 verärgerte Wersilow den Kreml bei der Fußballweltmeisterschaft: Beim WM-Finale Frankreich gegen Kroatien gelang es ihm, zusammen mit anderen „Pussy Riot“-Aktivisten, als Polizisten verkleidet über das Spielfeld zu rennen. Eine Aktion gegen Polizeiwillkür – und ein Debakel für die Polizei im Stadion. Präsident Wladimir Putin saß damals in den VIP-Loge, ebenso wie sein französischer Kollege Emmanuel Macron. Diese Aktion, glaubt Wersilow, könnte letztendlich den Ausschlag für den Giftanschlag gegen ihn gegeben haben. „Solche Operationen passieren nicht ohne die persönliche Zustimmung von Putin“, ist er überzeugt. Ein paar Wochen nach der Aktion im WM-Stadion, es war mittlerweile Mitte September 2018, wurde Wersilow plötzlich übel. An dem Tag hatte er einen Termin in einem Moskauer Gericht. Dort trank er einen Kaffee. Er selbst beschreibt die dramatische Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in einem Interview mit dem russischen Online-Medium Medusa. Das, was der 32-Jährige in den folgenden Wochen erlebte (bzw. nicht immer bewusst erlebte, da er im Koma lag) erinnert stark an den Fall Nawalny. Wie Nawalny klagte Wersilow kurze Zeit nach der mutmaßlichen Vergiftung über Seh- und Konzentrationsprobleme, Halluzinationen und den Verlust des Bewusstseins.Verlust der Sehkraft und Halluzinationen

Wersilow, heute Herausgeber des unabhängigen Medienprojekts Mediazona, fühlte sich nach Bekanntwerden von Nawalnys Zusammenbruch am 20. August an seinen eigenen Leidensweg erinnert. „Meine Vergiftungssymptome in den ersten Stunden gleichen sehr stark jenen Nawalnys“, twitterte er. Ähnlich wie bei Alexej Nawalny wollte man in dem Moskauer Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, keine Angehörigen vorlassen. Polizei und Geheimdienstleute hatten die Etage in Beschlag genommen.

Wersilow hat eigenen Angaben zufolge nie jene Analysen erhalten, die gleich nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus erstellt wurden. „So können wir nicht feststellen, womit ich vergiftet wurde“, sagt er in dem Interview. Er habe nur Untersuchungen erhalten, die später durchgeführt wurden. „Die zeigten nur, dass ich absolut gesund bin. Aber ich war ja ohne Bewusstsein und dem Tode nahe.“ Die Initiative „Cinema for Peace“ führte den Krankentransport Wersilows nach Berlin durch. Dieselbe NGO half jetzt Alexej Nawalny. In Nawalnys Körper wurde nun das Nervengift Nowitschok festgestellt. Bei Wersilow konnten die Berliner Ärzte nur die Folgen einer Vergiftung finden, nicht aber den Giftstoff.

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