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Diese Mulan hat nichts zu lachen

Da hat sie ihre Verkleidung schon aufgegeben: Mulan (Liu Yifei) rettet das Kaiserreich.
Da hat sie ihre Verkleidung schon aufgegeben: Mulan (Liu Yifei) rettet das Kaiserreich.(c) Disney
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Mit der Familienehre spaßt man nicht: Disneys neuer „Mulan“-Film ist ein Action-Spektakel voller Ernst und Pathos. Zu sehen online – für einen stolzen Preis.
 

Wir werden aus jedem Einzelnen von euch einen Mann machen“, sagt der Kommandant in die Runde der Rekruten. Ein Mann, das bedeutet ein Krieger, und jeder der hier Versammelten ist gewillt, einer zu werden. Auch die vergleichsweise schmächtige Gestalt mit der hohen Stimme. Sie ist am entschlossensten von allen. Und sie stinkt. Duschen mit den anderen Soldaten? Um Gottes willen! Nachts, wenn alle eingeschlafen sind, wickelt sie sich mucksmäuschenstill die Bandagen von der Brust, legt sich schmerzverkrümmt aufs Feldbett. Kurz schließt sie die Augen. Dann beginnt wieder das Tagwerk für die Neuzugänge der Kaiserlichen Armee Chinas. Stockkampf, Bogenschießen, Wasserkübel den Berg hochtragen: Was Männer halt so tun.

„I'll make a man out of you“, sang der Commander 1998 im Disney-Film „Mulan“. Allzu viel ist von der alten Zeichentrickversion nicht wiederzuerkennen in der Neuauflage, die Disney nun herausbringt – im Online-Stream statt im Kino. Aus dem Spaß, den sich das Studio damals aus der 1500 Jahre alten chinesischen Volksballade machte, ist ein ernstes Actionspektakel geworden, inszeniert von der Neuseeländerin Niki Caro.

Gesungen wird nicht, die Lieder sind in Zitaten wiederzufinden. Aus der quirligen, anfangs patscherten Mulan, die als Mann verkleidet anstelle ihres invaliden Vaters in den Krieg zieht, wurde eine Frau mit wundersamer Kampfkraft (gespielt von der Chinesin Liu Yifei), die nie lacht; aus dem vorlauten Drachen, der ihr im Zeichentrickfilm zur Seite steht, ein wallender Phönix, der hinter Mulan die Flügel aufspannt, während sie mit stoischem Blick ihr Schwert hebt. Auch mit den Geschlechterrollen ging der Zeichentrickfilm verspielter um (als sich etwa die grobschlächtigen Krieger als Konkubinen verkleidet in den Kaiserpalast schlichen). Nun sind es vor allem drei Werte, die im Film mantraartig betont werden: „Loyal, brave and true“ soll ein Krieger sein. Oder eben, wenn es sein muss, eine Kriegerin.

Und als solche ist diese Mulan geboren: Wir lernen sie als junges Mädchen kennen, als sie ein Huhn durch den Hof und über das Dach ihrer bunten Dorfgemeinschaft jagt. Plötzlich rutscht sie aus, die Leute halten den Atem an, doch Mulan hat alles unter Kontrolle. Mit dem gezielten Einsatz ihres Holzstabs wirbelt sie kunstvoll und sicher zu Boden. Die Nachbarn rümpfen die Nase. Später nimmt ihr Vater sie beiseite: Ihr Chi sei stark, doch es sei Zeit, es zu verstecken. Eine Tochter soll nicht mutig und stark sein. Eine Tochter soll still lächeln und Tee einschenken, gibt die grell geschminkte Heiratsvermittlerin zu verstehen.

Kämpfen, bis die Perspektiven wanken

Mulan führt zwei Kämpfe, als sie sich aufmacht, die Nation zu retten: einen für die Familienehre, einen, um akzeptiert zu werden, wie sie ist. Das ist das überdeutliche Leitmotiv des Films – und es wird kein Pathos gescheut, um das zu betonen, in fast jeder Dialogzeile, in der Nebenfigur einer bösen Hexe, die von der Gesellschaft verstoßen wurde, in so manchem Bild – etwa jenem des Phönix. Darüber hinaus wartet „Mulan“ vor allem mit Action-Schauwerten auf. Die Perspektiven wanken, als die einfallenden Rouran-Krieger Mauern hochlaufen. Man reitet durch rot leuchtende Berglandschaften, bebende Lawinen, fängt Pfeile mit der Hand: Ein Martial–Arts-Spektakel in stechender Ästhetik.

Auf der großen Leinwand wird das nur in China zu sehen sein. Ein weltweiter Kinostart war schon im März geplant und wurde wegen der Pandemie immer wieder verschoben. Jetzt soll der Film, der in der Produktion 200 Millionen Dollar gekostet haben soll, dem finanziell bedrängten Disney-Konzern zumindest mehr Abonnenten für den hauseigenen Streamingdienst bringen: Auf Disney+ kann er ab Freitag für stolze 22 Euro gekauft werden (zusätzlich zu den sieben Euro monatlich, die ein Abo kostet). Ab Dezember soll er dann ohne Zusatzkosten für alle Abonnenten – weltweit sind es über 60 Millionen – inkludiert sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2020)

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