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Das Filmfest Venedig schaut nach Srebrenica

Die Jurie der Filmfestspiele, darunter auch die österreichische Regisseurin Veronika Franz (3.v.li.).
Die Jurie der Filmfestspiele, darunter auch die österreichische Regisseurin Veronika Franz (3.v.li.).imago images/Independent Photo A
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In der österreichischen Co-Produktion „Quo vadis, Aida?“ erzählt Jasmila Žbanić vom Jugoslawien-Krieg: souverän, direkt.
 
 

Es gibt so einige historische Ereignisse, von denen viele Menschen lieber weniger wissen wollen. Das Massaker von Srebrenica gehört dazu: Unfassbares ist dort geschehen, unmittelbar unter den Augen einer UN-Friedenstruppe, und es ist gerade einmal 25 Jahre her. Trotzdem überlässt man das Gedenken, Aufbereiten und Erklären weitgehend den Betroffenen und ihren Nachfahren. Wie etwa Jasmila Žbanić, die 1974 in Sarajevo geboren wurde und mit ihrem Spielfilmdebüt „Esmas Geheimnis – Grbavica“ 2006 gleich den Goldenen Bären von Berlin gewinnen konnte. Schon darin ging es um das Weiter- und Zusammenleben mit den Traumata, die der Jugoslawien-Krieg hinterließ, einem Thema, auf das fast alle Filme der 45-jährigen Regisseurin auf die eine oder andere Weise Bezug nehmen.

In „Quo vadis, Aida?“ wendet sich Žbanić nun besagtem Massaker zu, und zwar auf ungewohnt direkte Weise. Es wirkt, als hätte sie die Ausweichmanöver, das Nicht-genau-hinsehen-Wollen satt. Der Film beginnt an Ort und Stelle, jener alten Batteriefabrik bei Potočari, wo sich am 11. Juli um die 25.000 Bosniaken, größtenteils Frauen und Kinder, zu den dort stationierten UN-Soldaten flüchteten. Hier arbeitet die ehemalige Lehrerin Aida (Jasna Djuričić) als Übersetzerin. Und nicht nur wegen ihres Jobs bekommt sie sehr bald mit, wie prekär die Lage sich gestaltet. Das niederländische Bataillon, das hier das Blauhelm-Kontingent stellt, erweist sich als hoffnungslos überfordert. Zudem verschafft sich das bosnisch-serbische Militär immer unverschämter Zugang und diktiert die Bedingungen der Hilfe und des Abzugs. Aida versucht unterdessen mit zunehmender Verzweiflung, ihren Mann und ihre Söhne dem Zugriff der Serben zu entziehen.

Verräterische Details

„Quo vadis, Aida?“ erzählt keine besonders raffinierte Geschichte, und doch schildert Žbanić mit einer Souveränität, die den Abwehrreflex gegenüber dem historischen Horror überwindet. Aida, wie sie Station und Lager durchschreitet, dort übersetzt, da verhandelt und an dritter Stelle um den Schutz für ihre Söhne fleht, hält den Zuschauer in Atem, während man gewissermaßen durch ihre Augen all die verräterischen Details registriert – wie sich die Blauhelme von der serbischen Miliz demütigen lassen, wie Generäle sich hinter Anordnungen und Sachzwängen verschanzen und sehenden Auges wehrlose Menschen ausliefern. „Quo vadis, Aida?“ist vielleicht kein sofortiger Löwen-Favorit, aber in der aktuellen Situation rund um die Pandemie hallt die Botschaft des Films umso lauter: Nur weil wir uns etwas nicht vorstellen können, heißt es nicht, dass es nicht doch passieren kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2020)

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