NS-Zeit: Blinde waren nicht nur Opfer

Barbara Hoffmann arbeitete sich durch Archive in Österreich, Deutschland und Israel und erforschte das Leben von blinden Menschen in der Ostmark.

„Mit 16 Jahren wurde ich auf einer Tiroler Skipiste von einem blinden Skifahrer mit Begleitläufer überholt“, schreibt Barbara Hoffmann im Vorwort ihrer Dissertation. Seit damals lässt sie die Faszination nicht los, wie Blinde ihr Leben bewältigen. Inzwischen ist sie selbst Skibegleiterin und Mitarbeiterin beim Tiroler Blinden- und Sehbehindertenverband. Nach der Diplomarbeit über „Kriegsblinde in Österreich von 1914 bis 1934“ schrieb sie die Diss „Zwischen Integration, Kooperation und Vernichtung: Blinde Menschen in der Ostmark“ (Geschichte, Uni Innsbruck, Betreuerin Elisabeth Dietrich-Daum). „Darüber gab es keine wissenschaftliche Auseinandersetzung“, so die in Deutschland geborene Hoffmann: „Häufig werden Menschen mit Behinderung als passive Objekte von Fürsorge gesehen, aber sie waren zum Teil auch aktive Beteiligte.“ Die schon vor dem „Anschluss“ bestehende „Zweiklassengesellschaft“ zwischen Kriegsblinden und Zivilblinden zieht sich durch die NS-Zeit – nur dass eine dritte Gruppe dazu kam: Blinde jüdischer Herkunft. Sie sind generell zu den Opfern zu zählen: „Viele kamen nach Theresienstadt. Das Schicksal dieser Menschen ist sehr berührend.“ Teils wurde ihnen im täglichen Überlebenskampf Essen gestohlen, aber es bildete sich auch eine Art Fürsorge, bei der ihnen andere Menschen, die selbst nichts hatten, halfen.

Blinde Menschen nicht jüdischer Herkunft waren nur dann für das NS-System „etwas wert“, wenn sie arbeiten konnten. Das österreichische Blindenvereinswesen wurde aufgelöst und durch den Reichsdeutschen Blindenverband ersetzt. Unter Menschen mit Behinderung hatten Blinde, Gehörlose und Körperbehinderte eine Sonderstellung – u.a. wegen ihres Arbeitspotenzials. Hoffmann kennt auch Lebensläufe kriegsblinder Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg: „Als Blinde mit vielen Granatsplittern im Körper haben sie den Krieg quasi mit nach Hause genommen.“ Der Kriegsblindenverband war in der Ostmark gut organisiert, die Funktionäre haben die NS-Ideologie verbreitet, aus dem Ersten Weltkrieg Erblindete waren eingebunden in die Rehabilitation der im Zweiten Weltkrieg erblindeten Soldaten. Manche fungierten gar als Gauredner – direkte Beteiligung am NS-System. Die vielen Details der berührenden – und teils erschreckenden – Geschichten sollen im Frühjahr 2011 im Studienverlag erscheinen. Stanger

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

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