Kein einziges Mal hörte Milena Franz Ende Juni 1920 husten.
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Kafka als „Presse“-Inserent und Liebesbriefe aus dem Büro

Nach unbeschwerten Tagen mit seiner Übersetzerin Milena Pollak in Wien gab Franz Kafka im September 1920 einige Inserate für sie in der „Neuen Freien Presse“ auf. Sie sollte lieber Tschechisch unterrichten, statt sich als Kofferträgerin verdingen zu müssen. Eine Spurensuche.

Beginnend mit dem 5. September 1920 schaltete der Prager Autor eine Serie von Kleinanzeigen für seine Übersetzerin und Kurzzeit-Geliebte Milena Pollak in der „Neuen Freien Presse“, in denen er sie als Tschechischlehrerin anpries, wobei er es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Aber ist dies nicht vielleicht das Wesen von Inseraten? Und warum sollte Kafka sich hier anders verhalten haben als jeder andere Verfasser von Anzeigen?

Mitten im Hochsommer 1920 hatte der vor Kurzem neu ernannte Abteilungsleiter für „Conceptwesen“, Doktor Franz Kafka, seinen Dienst in der tschechischen Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt in der Prager Pořić-Straße wieder angetreten. Seinen Urlaub hatte er restlos aufgebraucht, indem er den regulären vierwöchigen Erholungsurlaub an einen krankheitsbedingten Kuraufenthalt in Südtirol anhängte. Das ergaben in Summe drei Monate (April, Mai, Juni) und ein langes Wochenende, das Kafka vom 28. Juni bis zum Samstag, 3. Juli, mit Milena Pollak in Wien verbracht hatte, ehe er, soeben 37 Jahre alt geworden, heimfuhr nach Prag. Nun begann der Dienst wieder, es war heiß, und Kafka wäre lieber in die Schwimmschule an der Moldau gegangen, als im Büro über der Einstufung von Betrieben in Risikoklassen zu brüten oder Unfälle in Feldspatgruben zu klären.

Inserat Kafkas in der „Neuen Freien Presse“, 5. September 1920, Seite 29.
Inserat Kafkas in der „Neuen Freien Presse“, 5. September 1920, Seite 29.(c) Faksimile: Archiv]



Der Arbeit überdrüssig, schrieb er im Büro Briefe an Milena Pollak, die er an das Postamt Bennogasse in Wien-Josefstadt „postlagernd“ adressierte. In der tschechischen AUVA ging ohnehin alles seinen gewohnten Weg, obwohl sich die staatlichen Rahmenbedingungen dramatisch geändert hatten. Einmal mehr zeigte sich die Richtigkeit der Beobachtung von Otto Mayer, einem deutschen Staatsrechtslehrer: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ – das galt auch nach der Neugründung der tschechoslowakischen Republik, die sich der k. u. k. Versatzstücke nur langsam entledigen konnte. Im Sozialversicherungsbereich blieb das österreichische Modell aufrecht, eine spätere Privatisierung der Unfallversicherung bewährte sich nicht. Das „Kgr. Böhmen“ war aus dem Namen der AUVA verschwunden, Direktor Bedřich (Friedrich) Odstrčil hatte den verdienten Langzeitchef, Professor Robert Marschner, abgelöst, Oberinspektor Jan Valenta ersetzte Eugen Pfohl, hausintern gab es einen neuen Dienstplan, doch die verbliebenen Beamten taten dasselbe wie zuvor. Wichtig erschien für Kafka, dass ihn seine Vorgesetzten fürsorglich behandelten. Sie schätzten sein unfalltechnisches und juristisches Fachwissen und seine Stilsicherheit in dienstlichen Schreiben. Bei den Kollegen im AUVA-Palast am Poríč war er seines schwarzen, schalkhaften Humors wegen beliebt.

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