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Journalisten, die über ihre Rechercheergebnisse berichten, haben ein Privileg, das immer auch eine Pflicht ist: Sie sind Ermittler, Ankläger und Richter in einem. Sie können die Reputation einer Person vernichten.

Verwirrung überall. Medienkonsumenten wissen nicht, ob sie den Meldungen in den Tageszeitungen und in Funk und Fernsehen noch glauben sollen. Grund für die Verwirrung ist das von Walter Meischberger verfasste „Tagebuch“, das die politisch Interessierten im Sommerloch vor Rätsel stellt.

Geschrieben wurde dieses „Tagebuch“, das laut Verfasser eher ein Notizbuch und Gedächtnisprotokoll ist, während einer Zeit, in der gegen Meischberger strafrechtlich ermittelt wurde. Er berichtet darin über Unsummen auf Konten, auf denen sich auch Schwarzgeld befinden soll, und sonstige Unsitten. Die Artikel über die Vorwürfe tragen das Ihre dazu bei, die Verwirrung noch zu erhöhen. Mit investigativem Journalismus hat das nur am Rande zu tun.

Anstatt kritische Fragen zu stellen werden immer neue Gerüchte in Umlauf gebracht, damit man von weiteren Enthüllungen sprechen kann. Unter investigativem Journalismus versteht man einen Journalismus, der besonders zeitaufwendig, genau und umfassend wichtige und skandalöse Umstände aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft recherchiert und dann über Tatsachen berichtet. Dieser investigative Journalismus ist erfolgreich, wenn er zum Beispiel Rücktritte oder ähnliche Konsequenzen zur Folge hat. Im Fall Meischberger werden aus dem Zusammenhang gerissene Aktenbestandteile publiziert. Diese werden durch Anscheinsbeweise und Vermutungen angereichert, wobei gleichzeitig den Ermittlungsbehörden „Versagen“ angelastet wird.

Der Quelle wird – anscheinend ungeprüft – vertraut. Geschrieben von jenem Meischberger, der immer nur als Mitglied der „Buberlpartie“ in den Medien aufschien und von dem Armin Wolf in der ZiB2 jüngst spöttisch erklärte, dass sein Beruf u.a. „Trauzeuge“ wäre. Laut Notizbuch schüttelte Jörg Haider bei seinen Besuchen bei Saddam Hussein und Gadhafi nicht nur deren Hände, sondern hielt seine eigenen auf. Dort landeten 45 Mio. Euro – oder zehn Mio.? – oder 15 Mio.?

Bei so vielen unterschiedlichen Angaben, die sich alle auf das Notizbuch als Quelle beziehen, drängt sich die Frage auf: Warum veröffentlichen Journalisten dieses Notizbuch als Endergebnis ihrer Recherchen anstatt es als Ausgangspunkt zu nehmen – und in Ruhe und ohne öffentlichen Druck Hinweisen auf geheimen Konten nachzugehen?

Auch andere Fragen sind schnell gestellt – nur leider nicht von den Journalisten: Aus welchem Motiv wurde das Tagebuch geschrieben? Wie glaubwürdig ist die Quelle als Tatsachengrundlage, obwohl darin dezidiert immer nur von Hinweisen und Gerüchten, nicht aber von Fakten gesprochen wird? Für welche Gegenleistung erhielt Jörg Haider angeblich Unsummen? Wurde das Geld nach Liechtenstein oder in die Schweiz überwiesen oder musste Jörg Haider selbst einen Koffer tragen? Oder einer seiner Sekretäre?

Der Hinweis, dass „drei Staatsanwaltschaften“ ermitteln, soll die Bedeutung der Angelegenheit erhöhen. Welche Delikte wem vorgeworfen werden, bleibt unklar. Gleichzeitig erwecken die Artikel den Eindruck, dass die Staatsanwälte nicht schnell und gründlich genug ermittelten, sondern Zeit vertrödelten. Die Journalisten präsentieren sich als die wahren Aufklärer.

Journalistische Recherche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen haben gemeinsame, aber auch trennende Elemente. Der investigative Journalist sucht sich sein Thema, sein Ziel und das Umfeld selbst aus. Er kann nach Belieben in der Vergangenheit recherchieren, zukünftige Entwicklungen abwarten, die er überprüft und kritisch beurteilt, kann bestimmte Personen und Handlungen außer Acht lassen und ist in der Verwertung der Rechercheergebnisse frei. Das staatsanwaltschaftliche Handeln ist an gesetzliche Vorgaben gebunden. Das gilt sowohl für die Verfahrensvorschriften als auch für die Tatbestände, derentwegen ermittelt wird. Der Staatsanwalt ermittelt auf dem Boden streng einzuhaltender Gesetze. Er repräsentiert die staatliche Hoheitsgewalt und darf den Boden des Rechtsstaates nicht verlassen. Er hat auch entlastende Umstände zu berücksichtigen, was ein seriös arbeitender Journalist wohl auch tun wird. Alles dient dem Ziel der gesetzmäßigen Ermittlungen, aber auch dem Schutz der Persönlichkeitsrechte. Anders läuft die journalistische Recherchearbeit ab.

Versucht man sich ein Bild über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt der Berichte über die Causa Meischberger in den Medien zu machen, stößt man nur auf Gerüchte. Selbst wenn man sich wirklich informieren will, mehrere Quellen studiert und geradezu recherchiert, stößt man am Ende nur auf Zahlen und Annahmen, die auf Vermutungen basieren. Gerade dieses Fischen im Trüben der Gerüchtesuppe beweist die Unverzichtbarkeit eines investigativen Journalismus, der sich auf nachweisbare Fakten stützt.

Die Rolle der Medien als „Watch Dog“ ist ein unentbehrliches Korrektiv. Allerdings muss im Falle der Berichterstattung über bloße Gerüchte ein Ausgleich zwischen dem Schutz des Privatlebens und der Meinungsäußerungsfreiheit getroffen werden. Das gilt auch für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. So wären etwa Informationen über die Gesundheit eines Politikers oder dessen Sexualleben unzulässig, wenn sie ausschließlich zur Befriedigung der Neugier einer bestimmten Leserschaft verbreitet würden.

Dies gilt auch für die Behauptung, es existierten Konten in Liechtenstein oder der Schweiz. Sosehr es auch der Auflage nutzt. Journalisten, die über ihre Rechercheergebnisse berichten, haben ein Privileg, das immer auch eine Pflicht ist: Sie sind Ermittler, Ankläger und Richter in einem. Ihre Veröffentlichungen vernichten manchmal unwiederbringlich die Reputation von Menschen. Der Schaden ist oft nicht wiedergutzumachen.

Wenn politischer Journalismus wie der Boulevard für die schnelle Schlagzeile Halbwahrheiten und Unwahrheiten verbreitet, die schnell und leicht widerlegbar sind, leidet darunter seine Glaubwürdigkeit – und mit ihr die Qualität des politischen Diskurses.

Dieter Böhmdorfer
(*1943 in Trautenau, Böhmen) ist Rechtsanwalt und Politiker. Er war von Februar 2000 bis Juni 2004 Justizminister. Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

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