Kunstherbst

Wiener Galerien: Du sollst dir ein Bild machen!

Zauberhafte Literatur-Bild-Spiele von Friederike Mayröcker, ausgesucht von Hans Ulrich Obrist.
Zauberhafte Literatur-Bild-Spiele von Friederike Mayröcker, ausgesucht von Hans Ulrich Obrist. (c) Galerie n. St. Stephan
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Mit dem Festival Curated by startet der Wiener Kunstmarkt in eine ungewisse Zukunft. Ein beeindruckender Kraftakt der gebeutelten Galerien. Die anstehende Kunstmesse Viennacontemporary hat jedoch an Unterstützung verloren.

Was ist so ein Schutzgeist nicht für ein zartes, zerfranstes Geschöpf, jedenfalls, wenn er von Friederike Mayröcker bildlich gebannt wird. Eine ganze Reihe dieser zauberhaften Wesen hängen in der Galerie nächst St. Stephan an der Wand. Einer gegen die Angst davor, allein zu sein, ein anderer gegen morgendliche Müdigkeit. Einer, Mayröckers Partner Ernst Jandl einst gewidmet, „gegen Hunger, Durst und den Mangel an Zigaretten“. Den gegen Haarausfall nicht zu vergessen. Den gegen Corona-Angst darf man sich allerdings nur erhoffen.

Selten ist eine Galerie-Ausstellung wie diese von drei (unverkäuflichen) Zeichnungs-Serien der großen Wiener Schriftstellerin derart berührend, weckt derartige Sentimentalitäten und ist in ihrer leise humorvollen Melancholie dennoch am Puls der Zeit. Ihre Geschichte ist auch einfach zu schön. Hebt hier doch ausgerechnet die Verkörperung des Inbegriffs „internationaler Starkurator“, Hans Ulrich Obrist, Mayröckers Werk derart hervor. Outet sich dadurch als großer Verehrer, der Mayröckers Werk einst über seine gute Freundin Maria Lassnig lieben lernte, nach deren Tod man sich allerdings erst auch persönlich traf, im Café Sperl, wie man erfährt. Seither wird korrespondiert, schickt Mayröcker „HUO“, wie Obrist genannt wird, etwa selbst gezeichnete Postkarten nach London; für die Ausstellung hat man sechs dieser leichthändigen, ephemeren Hybride zwischen Kunst und Literatur gedruckt und aufgelegt.

Herrlich viele Einzelausstellungen

„Hybrids“ lautet auch das Motto des diesjährigen Kunstfestivals Curated by, bei dem bevorzugt internationale, zumindest ungewöhnliche Gastkuratoren Wiens Galerienszene aufmischen (sollen), 24 nehmen heuer an dem von Stadt und Bund geförderten Programm teil. Vielleicht ist es aufgrund der speziellen Zeit, aber es scheint heuer besonders gelungen, man vermeint eine gewisse Konzentration bzw. besonderen Tiefgang zu verspüren, etwa durch eine angenehme Häufung von Einzelausstellungen, die sich generell in den Galerieprogrammen dieses Herbsts bemerkbar macht.

Außerhalb des Festivals etwa fallen einem dabei Gerwald Rockenschaub bei Krobath auf. Oder Brigitte Kowanz, die mit neuen, sich formal auch auf ihre gerade eröffnete Installation auf der MQ-Libelle-Terrasse beziehenden Lichtarbeiten sowie magisch schimmernden Malereien bei Ursula Krinzinger zu finden ist.

Innerhalb des Festivals haben sich noch Lisa Kandlhofer und Zeller van Almsick zu Solo-Auftritten entschlossen, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Bei letzteren braucht der Blick geraume Zeit, sich auf die kleinformatige, mattfarben-abstrakte Malerei des jungen Wiener Künstlers Edin Zenun einzustellen, die in ihrer Bedachtsam- und Genauigkeit so aus der Zeit gefallen wirkt – und dennoch das formale Konzentrat enorm vieler, u. a. popkultureller Einflüsse wie Graffiti-Sprayer und Afrofuturismus darstellt.

Einen völlig anderen künstlerischen Zugang zur Welt wählt der US-nigerianische Künstler Olu Oguibe, einer der Stars der vergangenen „documenta“: Sein 16 Meter hoher Obelisk im Kasseler Zentrum, an dessen Seiten das Bibelzitat „Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt“ zu lesen ist, wurde zum Politikum. Nach langen Diskussionen, ob das Flüchtlings-Mahnmal bleiben könne, wurde es letztlich nur wenige Meter verrückt. Für Kandlhofer hat der kamerunische documenta-14-Co-Kurator Soh Bejeng Ndikung die Auswahl getroffen. Sie stellt eine kleine Retrospektive aus 20 Jahren von Oguibes Arbeiten dar, der Ende der 1960er als Kind vor dem Biafra-Bürgerkrieg fliehen musste. In mehreren Vitrinen stellt er ein Archiv dieses heute großteils vergessenen Völkermords aus, eine Arbeit, die er auch bei der documenta 14 in Athen zeigte.

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