Roman

Antonia Brico, die Frau mit dem Taktstock

Maria Peters hat das Leben der ersten weltweit erfolgreichen Dirigentin fiktionalisiert.
Maria Peters hat das Leben der ersten weltweit erfolgreichen Dirigentin fiktionalisiert.Mark Uyl
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Selbst Musikliebhaber kennen Antonia Brico oft nicht. Dabei war sie die erste erfolgreiche Dirigentin. Maria Peters hat ihr ein (Dreh-)Buch gewidmet. Mit fiktivem, hoffnungsvollem Ende.

Verfilmungen von Romanen werden oft mit einer Mischung aus Sehnsucht und Skepsis erwartet: Wird auf der Leinwand das zu sehen sein, was die eigene Vorstellungskraft gezeigt hat? Wird die geschriebene Geschichte nicht zu verkürzt oder dicht dargestellt? Bei „Die Dirigentin“ ist zumindest die Gefahr gering, dass Roman und Drehbuch in verschiedene Richtungen gehen. Für beides ist nämlich dieselbe Frau verantwortlich: die niederländische Autorin und Regisseurin Maria Peters. Jahrelang hat sie das Leben von Antonia Brico recherchiert, der ersten erfolgreichen Dirigentin der Welt. Nun erscheint der Roman, der das Leben der Musikerin mit etwas künstlerischer Freiheit beschreibt. Im September soll der Film in die Kinos kommen.

Die Geschichte beginnt im New York der 1920er-Jahre. Willy Wolters ist eine junge Frau mit niederländischen Wurzeln, einem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter und einem Traum: Dirigentin zu werden. Tagsüber arbeitet sie als Schreibkraft in einem Büro, abends als Platzanweiserin in einem Konzerthaus. In den Pausen schleicht sie sich auf die Männertoilette – dem einzigen Ort, an dem sie ungestört der Musik folgen kann. Dann wird aus einem Essstäbchen von Mr. Huang ein Taktstock. Und aus der Platzanweiserin eine Dirigentin.


Ein Schicksalstag. Diese Routine behält sie bei, bis der berühmte Dirigent Wilhelm Mengelberg an einem Abend im Konzertsaal auftritt. Er wird das Leben der jungen Frau in mehrfacher Hinsicht prägen. Sie spart für eine Konzertkarte, um die Musik direkt im Saal zu erleben. Doch an diesem Tag wird Willy Wolters gleich beide Jobs verlieren. Zuerst, als sie sich im Büro weigert, Überstunden zu machen. Dann, als sie im Konzertsaal den Einlass verpasst. Daraufhin schnappt sie sich einen Klappsessel und weist sich selbst einen Platz zu: Direkt hinter Mengelberg. Am Ende wird sie der „Concert Manager“ – er legt auf diese Berufsbezeichnung großen Wert – kündigen.

Danach verändert sich Willy Wolters' Leben rasant, und das nicht nur beruflich. Als die Eltern erfahren, dass ihre Tochter arbeitslos ist, werfen sie sie raus. Und geben ihr noch eine schockierende Nachricht mit auf den Weg: Sie sei gar nicht ihr leibliches Kind, heiße eigentlich Antonia Brico und sei – noch in den Niederlanden – von einer jungen, alleinstehenden Frau zur Adoption freigegeben worden.


Aussage gegen Aussage. Antonia Brico findet Zuflucht bei einem neuen Arbeitskollegen: Robin, der Kontrabassist aus dem Jazz- und Nachtclub, in dem sie selbst jetzt auch Klavier spielt. Ihr erstes Ziel ist es allerdings, am Konservatorium zu studieren. Das schafft sie auch – doch das Leben erspart Antonia Brico keine tragische Wendung. Ihr Lehrer, Professor Goldsmith, belästigt sie sexuell, bei der Vernehmung steht Aussage gegen Aussage, mit vorhersagbarem Ausgang: Die junge Frau muss das Konservatorium verlassen.

Eine kurze Liebesbeziehung tröstet Antonia Brico über diesen Rückschlag hinweg und ermöglicht es ihr gleichzeitig, ihre eigentlichen Pläne in die Tat umzusetzen: Sie reist nach Amsterdam und begibt sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter. Sie findet sie auch, zumindest indirekt. Aber sie findet auch Mengelberg, den sie um Unterricht im Dirigieren bittet. Er schickt sie mit einem erniedrigenden Brief zu einem Bekannten nach Hamburg, zu Karl Muck.

Doch Antonia Brico setzt sich auch hier mit eisernem Willen durch: Sie wird an der staatlichen Musikakademie aufgenommen, gibt schließlich als erste Frau vor dem Orchester den Takt an und wird die weltweit erste erfolgreiche Dirigentin. Die Schattenseite ist, dass Brico für ihren Traum auf vieles verzichten muss, von der geheizten Wohnung bis zur Familie. Und das – fiktive – Ende ist noch ein gutes Stück hoffnungsvoller als die Realität.

Sprachlich fesselt das Buch vielleicht nicht durchgehend, das erstaunliche Leben der Musikpionierin Antonia Brico macht die eine oder andere Länge aber mehr als wett. So sehr, dass man nach der letzten Seite gern noch weitergelesen hätte. ⫻

Neu Erschienen

Maria Peters
Die Dirigentin

Übersetzt von
Stefan Wieczorek
Atlantik Verlag
336 Seiten
22,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2020)

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