Psychologie

So sind sie, die Bewohner der Berge

Driving Oxen Across The Great Plains Of America In 1867 From El Mundo En La Mano Published 1878 PU
Driving Oxen Across The Great Plains Of America In 1867 From El Mundo En La Mano Published 1878 PU(c) imago images / Design Pics (Ken Welsh via www.imago-images.de)
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Wild, rebellisch, stur? Forscher suchten für die USA nach Korrelationen von Charakterzügen und der Topografie des Wohnorts. Die Klischees bestätigen sich.

„Die Berge machen die Menschen wild“, heißt es in den „Misérables“ von Victor Hugo. Ob in großer Literatur oder Groschenroman: Bergbewohner werden als rau, stur und verschlossen dargestellt. Alles nur Klischee? Oder längst überholt, weil früher abgelegene Gebiete heute mit breiten Straßen und Glasfaserkabel erschlossen sind und ihre Bewohner vom Fremdenverkehr leben, statt auf steilen Hängen die Sense zu schwingen?

Psychologen der Universität Cambridge, unterstützt unter anderem von ihrem Kollegen Stefan Stieger von der Karl Landsteiner Privatuni in Krems, haben sich des heiklen Themas für die USA angenommen (Nature Human Behaviour, 7. 9.).  Ihr Algorithmus nutzt Persönlichkeitstests, die 3,3 Millionen Amerikaner online ausgefüllt haben, und vergleicht die Ergebnisse mit den topografischen Gegebenheiten von Heimat- und Wohnort. Der Test ermöglicht die bewährte Klassifizierung nach fünf Charakterzügen, die zusammen die Persönlichkeit eines Menschen beschreiben.

Grob lässt sich sagen: Die Klischees haben sich bestätigt. Bergbewohner zeichnen sich tendenziell durch ein etwas weniger „angenehmes Wesen“ aus, sind nicht so vertrauensvoll, versöhnlich und freundlich wie Leute in der Ebene (wer unter harten Bedingungen überleben musste, war besser misstrauisch und hütete Hab und Gut). Sie sind introvertierter (weil sie früher in einsamer Gegend auf sich selbst angewiesen waren) und Individualisten, die ihre Freiheit lieben, gern rebellieren und sich vom Staat nicht leicht etwas vorschreiben lassen.

Marlboro Man lässt grüßen

Diese drei Merkmalsgruppen lassen sich in jeder US-Gebirgsregion nachweisen. Bei den zwei übrigen gibt es hingegen signifikante Unterschiede zwischen Ost und West. Nur in der alten Grenzregion der Rocky Mountains finden sich starke Spuren der Wildwest-Mentalität: Großes Durchsetzungsvermögen und emotionale Stabilität (in der Sprache der Psychologen: geringer Neurotizimus) paaren sich mit Offenheit für neue Erfahrungen und Mobilität, die Siedler und Glücksritter mitbringen mussten.

Bei den Bewohnern der Appalachen im Osten ist diese Offenheit weit weniger stark ausgeprägt. Und sie sind emotional eher instabil, möglicherweise bedingt durch die chronische Wachsamkeit, die sie über Jahrhunderte zum Überleben brauchten. In Summe dürften die Ergebnisse bei ihnen tatsächlich etwas mit Seehöhe und schroffen Hängen zu tun haben – und mögen damit in unseren alpinen Regionen zum Teil replizierbar sein.

Der Unterschied zwischen Berg und Ebene sei „robust, aber klein“, und nur einer von Hunderten Aspekten, die auf komplexe Weise Persönlichkeiten formen. Dennoch könne er, wenn Hunderttausende Menschen ihn über Jahrhunderte tendenziell teilen, ganze Regionen prägen – was sich dann etwa in Wahlergebnissen oder der Wirtschaftskraft zeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2020)

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