Brexit-Deal

Die britische Regierung erwägt internationales Recht zu brechen

Der britische Premierminister Boris Johnson beim wöchentlichen Kabinettstreffen in London.
Der britische Premierminister Boris Johnson beim wöchentlichen Kabinettstreffen in London.REUTERS
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Laut dem britischen Nordirland-Staatssekretär verstoßen die Pläne der Regierung in der Nordirland-Frage im angestrebten Handelsdeal mit der EU tatsächlich gegen internationales Recht - „in a limited way“.
 
 

Die britische Regierung hat zugegeben, dass eine von ihr geplante Änderung am Brexit-Abkommen gegen internationales Recht verstoßen würde. "Ja, das verletzt internationales Recht in einer sehr spezifischen und begrenzten Weise", sagte der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis am Dienstag vor dem Parlament in London.

Er bewertete damit die von der britischen Regierung erwogenen Änderungen der Bestimmungen zu Nordirland im Austrittsvertrag, der die Bedingungen für das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU am 31. Jänner 2020 festlegt.

Die Nordirland-Frage

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will einem Bericht der "Financial Times" zufolge zwei Kernvereinbarungen mit der EU zu Nordirland mit einem neuen Gesetz aushebeln.

Zum einen geht es um Staatshilfen für Unternehmen in Nordirland, die gemäß dem Austrittsabkommen auch künftig unter EU-Regeln fallen würden. Laut der Zeitung will Johnson die Pflicht für die britische Regierung aufweichen, Brüssel über solche Hilfsgelder zu informieren.

Darüber hinaus geht es um Auflagen für nordirische Unternehmen beim Transport von Waren in das Vereinigte Königreich. Laut Abkommen müssen die Unternehmen die Warensendungen als Exporte deklarieren. Auch diese Pflicht will Johnson dem "FT"-Bericht zufolge nicht mehr vollständig einhalten.

Die Nordirland-Frage ist einer der Hauptstreitpunkte zwischen London und Brüssel, da die Grenze zwischen Irland und Nordirland durch den Brexit de facto zu einer Landgrenze zwischen der EU und Großbritannien wurde. Das Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der jahrzehntelange blutige Nordirland-Konflikt überwunden wurde, sieht allerdings eine offene Grenze vor.

Irlands Premierminister Micheal Martin zeigte sich besorgt über die späten Änderungswünsche der Briten. "Das Austrittsabkommen ist ein internationaler Vertrag und wir erwarten von der britischen Regierung, dass sie das, was vereinbart wurde, umsetzt und sich daran hält", sagte er der Zeitung "Irish Examiner".

Nordirland an den EU-Binnenmarkt gekoppelt

London hatte sich in dem Ende 2019 fixierten Austrittsvertrag verpflichtet, dass Nordirland weiterhin an den EU-Binnenmarkt gekoppelt bleiben wird. Erst nach Monaten des Leugnens räumte die Regierung in den Wirren der Covid-Krise ein, dass damit entgegen aller Versprechen eine Grenze im Warenverkehr zwischen Irland und Großbritannien entstehen wird. Mit dem neuen „Internal Markets Bill“ will die Regierung Johnson diese Vereinbarung mit Brüssel nun aushebeln.

Dass ein Staat, der sich seiner jahrhundertealten Tradition als Rechtsstaat rühmt, mit dem Gedanken liebäugelt, einen internationalen Vertag zu verletzen, rief am Montag ernste Warnung von höchster Stelle auf den Plan: „Ich vertraue darauf, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen umsetzen wird, eine völkerrechtliche Verpflichtung und Voraussetzung für jede weitere Partnerschaft“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Brexit-Chefverhandler Michel Barnier warnte vor dem heutigen Beginn der achten Gesprächsrunde in London: „Alles, was wir vereinbart haben, muss eingehalten werden.“ Zwangsmittel hat die EU freilich keine. London hat seine Position zum Europäischen Gerichtshof längst hinreichend klar gemacht.

Neue Verhandlungsrunde

Vor der neuen Verhandlungsrunde zwischen der EU und Großbritannien  hat nun außerdem der britische Chefunterhändler David Frost den Ton verschärft. Wenn ein Abkommen bis Ende des Jahres stehen solle, müsse es in dieser Woche Fortschritte geben, betonte Frost vor den Gesprächen mit dem EU-Chefunterhändler Michel Barnier in London.

Frost forderte "mehr Realismus von der EU in Bezug auf unseren Status als unabhängiger Staat". Wenn Brüssel das "in der sehr begrenzten Zeit, die uns noch bleibt, nicht schafft, dann werden wir zu Bedingungen handeln, wie sie die EU mit Australien hat", drohte der Brite.

Kritik von Europaministerin Edtstadler

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) kritisierte am Dienstag das Ultimatum Londons. Ziel der EU-27 bleibe weiterhin ein möglichst enges Verhältnis mit Großbritannien, so die Europaministerin nach Gesprächen mit dem britischen Botschafter und EU-Vertretern im Bundeskanzleramt. In der finalen Phase der Verhandlungen sei, wie schon bisher, die Einheit der EU 27 entscheidend. "Wir stehen klar hinter Chefverhandler Michel Barnier und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die bereits große Fortschritte erzielen konnten."

Auch die deutsche Bundesregierung erklärte ihre volle Unterstützung für die EU-Kommission, um gegenüber Großbritannien auf der "vollständigen Umsetzung des Austrittsabkommens zu bestehen". Dieses sei "die von beiden Seiten unterzeichnete rechtliche Grundlage, die es einzuhalten gilt", hieß es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin.

Großbritannien war am 31. Jänner aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt eine Übergangsphase. Bis dahin wollen beide Seiten ihre künftigen Beziehungen regeln und vor allem ein Freihandelsabkommen vereinbaren. Bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober streben beide Seiten einen Abschluss an, haben aber auch schon vor einem Scheitern gewarnt.

(APA/AFP/Red.)

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