Handelsvertrag

Frostiger Auftakt der neuen Brexit-Gespräche

Der britische Chefunterhändler David Frost am Amtssitz des Premierministers in London.
Der britische Chefunterhändler David Frost am Amtssitz des Premierministers in London.REUTERS
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Trotz Zeitdruck wird erneut kein Durchbruch erwartet. Die britische Regierung gibt sich unbeeindruckt und droht der EU mit der Aufkündigung des Austrittsabkommens – und dem Bruch internationalen Rechts.

London. In gespannter Atmosphäre haben Großbritannien und die EU die Verhandlungen über ihre künftigen Wirtschaftsbeziehungen wiederaufgenommen. Scheinbar unbeeindruckt von bestürzten Reaktionen auf die jüngste Eskalation durch London, forderte der britische Chefunterhändler David Frost: „Es wird Zeit, dass sich die EU darüber klar wird, dass wir ein unabhängiges Land sind.“ London verlangt, dass eine Vereinbarung bis zum EU-Gipfel am 15./16. Oktober stehen muss.

Dafür gibt es freilich weiter keine Hinweise. „Noch ist Zeit für eine Einigung“, sagte zwar Frost, warnte aber: „Dafür müssen wir echte Fortschritte machen.“ Keine Bewegung gibt es weiter bei Fischerei, Subventionen und Streitschlichtung. Obwohl die gesamte britische Fischfangflotte mit 500 Millionen Pfund nicht mehr erwirtschaftet als das Londoner Nobelkaufhaus Harrods Jahresumsatz macht, hat die Branche hohen politischen Symbolwert für die Brexit-Forderung „Take back control“.

Nicht viel anders verhält es sich auf der anderen Seite: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron kann sich ein Jahr vor der nächsten Präsidentenwahl innenpolitisch kaum etwas weniger leisten, als die kampfeslustigen Fischer seines Landes gegen sich aufzubringen. So war es auch Macron, der sich bemühte, die jüngsten Wogen zu glätten und von einem „sehr, sehr guten“ Telefongespräch mit dem britischen Premierminister Boris Johnson Montagabend zu berichten.

Da hatte Johnson seiner konservativen Parlamentsfraktion aber schon schriftlich zugesichert: „Ich werde nicht nachgeben“. Zudem ließ ein Sprecher verlauten, die Regierung halte das EU-Austrittsabkommen für „unsinnig“ und „widersprüchlich“. Versuche, mit einem nationalen Gesetz den Vertrag auszuhebeln, bezeichnete der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis gestern beschönigend als Verletzung des internationalen Rechts „in einer spezifischen und begrenzten Weise“.

Chefjurist tritt zurück

Der Entwurf des Gesetzes zum Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs soll am heutigen Mittwoch veröffentlicht werden – und dürfte in der Tat Sprengstoff für das Verhältnis zu Europa bergen. So trat am Dienstag der höchste Rechtsberater der britischen Regierung, Jonathan Jones, abrupt von seinem Amt zurück. Dem Vernehmen nach zeigte sich Jones „zutiefst bestürzt“ über den Plan, Teile des Brexit-Vertrags aufzukündigen.

Bei jenen gemäßigten Konservativen, die Johnson nach seiner Machtübernahme aus der Partei gejagt hatte, läuteten mittlerweile die Alarmglocken. „Ich glaube nicht, dass sie bluffen“, sagte der ehemalige Justizminister David Gauke über die Verhandlungstaktik der Regierung Johnson. Ex-Schatzkanzler Philip Hammond warnte vor „unglaublichem Schaden“ für Großbritannien: „Wir sind ein Rechtsstaat, und wenn wir durch nationale Gesetze internationale Verpflichtungen außer Kraft setzen wollen, wäre das ein ungeheuer gefährlicher Schritt“.

Wie immer scheinbar ungerührt erschien EU-Chefunterhändler Michel Barnier zu den Verhandlungen in London. Doch die Union hat ihre Tonlage verschärft: „Wir tun alles, um ein Abkommen zu erreichen“, sagte ein EU-Sprecher. Aber: „Wir sind auch auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet“. Das sind die Briten nicht. Der Thinktank Institute for Government schreibt in einer aktuellen Studie: „Während die Regierung versucht, die Bevölkerung mit einem falschen Gefühl der Sicherheit einzulullen, haben die meisten Vorbereitungen noch nicht begonnen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2020)

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