Machtbalance

China wird zum größten geopolitischen Rivalen Europas

CHINA-Nur langsam setzt sich in Europa die Einsicht durch, dass China nicht bloß ein apolitischer Handelspartner ist.
CHINA-Nur langsam setzt sich in Europa die Einsicht durch, dass China nicht bloß ein apolitischer Handelspartner ist.APA/AFP/NICOLAS ASFOURI
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Nationale Regierungen schwächen aus Egoismus die Union vis-à-vis einem Regime, das dem Westen feindselig gegenübertritt.

Brüssel. Wenige Tage vor einem Gipfeltreffen zwischen den Spitzen der Europäischen Union und der Volksrepublik China warnen zwei Berichte davor, dass die Europäer den geopolitischen Zielen des totalitären Regimes in Peking aus Selbstverschulden wenig entgegensetzen. „In den kommenden Jahren wird China die größte geopolitische Herausforderung für die EU in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, konkret dem Westbalkan, dem Nahen Osten und Nordafrika, darstellen, und auch auf dem wachsenden geopolitischen Spielfeld der Arktis“, resümiert das Mercator Institute for China Studies, ein Thinktank in Berlin, in einem den Medien zugänglichen Rohbericht, der am 15. September veröffentlicht wird. „Die EU wäre jedoch schlecht beraten, nur die geopolitische Konkurrenz mit China in ihrer Nachbarschaft im Auge zu behalten, denn chinesische Aktivitäten stellen auch die freie Seefahrt im indo-pazifischen Raum infrage.“

China sieht Westen als politische Gefahr

Der Europäische Rechnungshof wiederum warnt davor, dass die EU-Hauptstädte mit ihren Alleingängen gegenüber Peking die Verhandlungsmacht der Union bedeutsam schwächen. Dies geschehe „häufig ihren eigenen nationalen Interessen entsprechend und ohne die Kommission zu informieren, selbst wenn dies vorgeschrieben ist. Bei einem derart fragmentierten Ansatz kann die wirtschaftliche Stärke einer gemeinsam handelnden EU nicht zum Tragen kommen.“ Die frühere belgische Innen- und Justizministerin Annemie Turtelboom, die im Rechnungshof für diesen Bericht verantwortlich war, fügte hinzu: „Der geopolitischen Verschiebung in wirkungsvoller Weise zu begegnen würde eine stärkere China-Strategie der EU und ein gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten mit den EU-Organen als Union voraussetzen.“

Der Rechnungshof fand in dieser Analyse der „Reaktion der EU auf Chinas staatlich gelenkte Investitionsstrategie“ drei politische Risken im Verhältnis zu Peking, die derzeit weder bei der Kommission noch dem Auswärtigen Dienst der EU auf dem Radarschirm aufscheinen: Lücken oder Überschneidungen beim Bau von grenzüberschreitender Infrastruktur, Schocks für die Lieferketten der EU sowie – Stichwort: Coronapandemie – die Übertragung von Krankheiten.

Nur langsam setzt sich in Europa die Einsicht durch, dass China nicht bloß ein apolitischer Handelspartner ist. „Der chinesische Parteistaat hat sich immer schon als im Wettbewerb mit liberalen Demokratien betrachtet“, hält die Merics-Studie fest und verweist auf ein internes Papier der chinesischen kommunistischen Partei aus dem Jahr 2013 über die ideologische Lage in China. Dort werden „westliche“ Prinzipien, Werte und Regierungsprinzipien als „politische Gefahren“ gebrandmarkt. Präsident Xi Jinping habe Desinformationspolitik sowie die Kooptierung europäischer Eliten zum erklärten außenpolitischen Ziel gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2020)

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