Großbritannien/EU

Brüssel droht London mit Konsequenzen

Boris Johnson macht sich bei der EU unbeliebt.
Boris Johnson macht sich bei der EU unbeliebt.APA/AFP/POOL/STEFAN ROUSSEAU
  • Drucken

Brüssel überlegt rechtliche Schritte, nachdem London das Austrittsabkommen in wichtigen Punkten für obsolet erklärt hat. Doch an ein Einlenken der Briten ist nicht zu denken.

London. Und wieder eilte ein Tross unter dem Ärmelkanal durch zu Krisengesprächen in der unendlichen Geschichte des britischen Ausscheidens aus der EU. Diesmal war es eine EU-Delegation, geführt von Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič, die gestern, Donnerstag, in London „ernste Sorge“ über die jüngsten britischen Schritte zum Ausdruck brachte. Dabei machte Šefčovič nicht nur klar, dass das Brexit-Abkommen vom vergangenen Oktober „nicht verhandelbar“ sei, sondern winkte dem zuständigen britischen Minister, Michael Gove, auch heftig mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl: „Rechtliche Schritte“ würden bereits erwogen.

Auslöser der Krise ist der britische Versuch, das vereinbarte Austrittsabkommen durch ein nationales Gesetz in entscheidenden Teilen auszuhebeln. Damit würde die Verpflichtung zur Güterkontrolle zwischen der Provinz Nordirland, die teilweise im EU-Binnenmarkt bleibt, und dem restlichen Großbritannien, das die EU zur Gänze verlässt, beiseitegeschoben. Selbst der britische Nordirlandminister, Brandon Lewis, musste einräumen, dass das Gesetz in „bestimmter und eingeschränkter Form das Völkerrecht verletzt“. Doch auch ein Aufschrei der Empörung vonseiten der EU ebenso wie von Kritikern im Inland hielt Premierminister Boris Johnson nicht davon ab, den umstrittenen Entwurf am Mittwoch im Parlament einzubringen.

Die EU-Kommission, so verlautete man gestern in Brüssel, wolle den Gesetzestext nun „sehr genau prüfen“ und nach der erwarteten Verabschiedung über weitere Schritte entscheiden. Von einem völligen Zusammenbruch der stockenden Verhandlungen über einen Handelsvertrag ab dem kommenden Jahr bis hin zur Einschaltung der internationalen Gerichte war die Rede: „Wir haben einen Mechanismus dafür“, hieß es von EU-Diplomaten.

Ob sich London freilich daran halten und eine Entscheidung zu seinen Ungunsten akzeptieren würde, ist fraglicher denn je. Außer schönen Worten, die kaum einer so wohlfeil zu spenden weiß wie Minister Gove, war die britische Regierung offensichtlich zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Eine Rücknahme des umstrittenen Gesetzes wurde nicht erwogen.

Diese Beharrlichkeit wird nicht folgenlos bleiben. Der frühere konservative Premierminister John Major fürchtet einen großen Imageschaden für das Königreich: „Wenn wir unseren Ruf verletzen, dass wir immer unsere Versprechen halten, werden wir etwas Unbezahlbares und möglicherweise Unwiederbringliches verlieren.“

Sollte die britische Führung darauf hoffen, ihren Crashkurs gegenüber der EU durch ein Abkommen mit den USA kompensieren zu können, wurde dies bereits enttäuscht: „Unter keinen Umständen“ werde Washington mit London ein Abkommen schließen, wenn der Friede in Nordirland nicht garantiert sei, sagte die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. (gar)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz.
Brexit

Scholz: "Keine besonders schweren Konsequenzen" für EU durch Brexit-"No Deal"

„Eine ungeregelte Situation würde sehr erhebliche Konsequenzen für die britische Volkswirtschaft haben“, sagt der deutsche Finanzminister Olaf Scholz.
Boris Johnson will den vereinbarten Austrittsvertrag mit der EU ändern. Es hätten sich unbeabsichtigte Folgen ergeben, die korrigiert werden müssten.
Brexit-Folgeabkommen

Brexit: In einer Dynamik des Scheiterns

Während die EU eine geschlossene Front in den Verhandlungen über eine weitere Zusammenarbeit demonstriert, zeigen die Briten keinerlei Anzeichen eines Einlenkens. Sie riskieren sogar den Frieden in Nordirland.
Brexit-Chefverhandler Michel Barnier.
Verhandlungen

Brexit: Die EU ist mit ihrem Latein am Ende

Die britische Regierung macht ihre Drohung wahr und bricht mit ihrem neuen Binnenmarkt-Gesetz den vor nicht einmal einem Jahr geschlossenen Vertrag über den EU-Austritt.
Der britische Chefunterhändler David Frost am Amtssitz des Premierministers in London.
Handelsvertrag

Frostiger Auftakt der neuen Brexit-Gespräche

Trotz Zeitdruck wird erneut kein Durchbruch erwartet. Die britische Regierung gibt sich unbeeindruckt und droht der EU mit der Aufkündigung des Austrittsabkommens – und dem Bruch internationalen Rechts.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.