Junge Forschung

Die Doktorin und das liebe Vieh

Die Presse/Clemens Fabry
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Die Veterinärmedizinerin Sara Hintze von der Boku Wien erforscht die Gefühle und das Wohlbefinden von Tieren. Verbesserte Tierschutzgesetze könnten die Folge sein.

Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt“, so ein beliebtes, gern dem indischen Friedensaktivisten Mahatma Gandhi untergeschobenes Bonmot. Aber wie behandelt man Tiere richtig und wie können wir Menschen erkennen, dass sie sich wohlfühlen? Eine konkrete Antwort, ob es ihnen gut geht, könnten uns nur die Tiere selbst geben, aber es fehlen ihnen die Mittel der menschlichen Sprache. „Bei meiner Forschungsarbeit gehe ich von den Ansätzen her ähnlich wie bei der Humanpsychologie vor. Man kann vieles, was beim Menschen funktioniert, auch auf die Tiere übertragen“, sagt die aus Nordrhein-Westfalen stammende 34-jährige Tierschutzwissenschaftlerin Sara Hintze. Sie forscht und lehrt an der Boku in Wien am Institut für Nutztierwissenschaften. Für das Analysieren der Gefühle der Tiere müssten andere Parameter als die der menschlichen Sprache herangezogen werden, so die Forscherin. Das Verhalten, die Physiologie und die Kognition werden meist im Rahmen von Langzeitstudien näher beleuchtet.

Pessimistische Pferde . . .

„In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in der Tierschutzforschung der Trend entwickelt, nicht nur zu verstehen, in welchen Situationen Tiere wie stark leiden, sondern auch die Bedingungen zu erforschen, wann die Tiere sich wohlfühlen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Mit den Erkenntnissen ihrer Arbeit geht sie den Gefühlen und dem Wohlbefinden von vorwiegend landwirtschaftlichen Nutztieren wie Rindern und Schweinen auf den Grund. Hintzes Arbeit ist dadurch motiviert, dass ihre Ergebnisse einen positiven Einfluss im Umgang mit den Tieren haben kann. Dass die Lehren ihrer Forschung ebenso als Basis für das Optimieren der Tierschutzgesetze herangezogen werden können, erhofft sich die Forscherin.

Im Zuge ihres Dissertationsprojekts an der Universität Bern konnte Hintze bei Pferden klären, ob diese eher positiv oder negativ gestimmt sind. Mithilfe des sogenannten Optimismus-Pessimismus-Tests analysierte sie, wie die Tiere in bestimmten Situationen reagierten. Dabei wurden die Pferde über einen Zeitraum von mehreren Monaten konditioniert. Sie lernten, dass bei einem hohen Ton ein Behälter mit einer Karotte befüllt war, bei einem niedrigen Ton wurde keine Karotte hinterlegt. Die Tiere trabten nur auf den Behälter zu, wenn sie einen hohen Ton hörten. Sie assoziierten damit, nun mit einer Karotte belohnt zu werden. Bei einem niedrigen blieben sie dem Behälter fern. Die Schlüsselfrage des Tests war aber, was bei einem mittleren Ton passieren würde. Einige Pferde reagierten nicht, andere trabten aber sehr wohl auf die Box zu. Sie erwarteten sich ebenso eine Karotte. „Auf unser menschliches Verständnis übersetzt würde diese Gruppe von Pferden ein bis zur Hälfte gefülltes Glas Wasser als halb voll einschätzen. Man klassifiziert diese Tiere als positiv gestimmte Tiere. Die Tiere, die nicht zum Behälter gehen, sind die negativ gestimmten“, erläutert Hintze die Versuchsergebnisse. Mit diesen Erkenntnissen können Rückschlüsse und Maßnahmen für das Halten von Tieren gezogen werden. Dieses Testverfahren kam 2004 ursprünglich bei Ratten zum Einsatz. Die Wissenschaftlerin adaptierte diesen Test und wandte ihn bei Mäusen, Ratten und Pferden an. Sie erhielt dafür 2018 den Preis für die beste Dissertation der Fakultät.

. . . und gelangweilte Schweine

Ein aktuelles Projekt liegt Hintze besonders am Herzen. Im Kern geht es darum zu erforschen, wie sich Langeweile auf Schweine auswirkt. „Vom Menschen wissen wir, dass chronische Langeweile äußerst negative Folgen, wie zum Beispiel Depressionen bis hin zu Suizid haben kann. Bei Tieren gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse darüber“, sagt die Forscherin. Ziel dieser Studien sei zu sehen, wie sich die Langeweile bei Schweinen ausdrückt und auf das Wohlbefinden der Tiere auswirkt.

Die in Wien lebende Wissenschaftlerin wuchs mit Hunden und Pferden auf. In ihrer Freizeit zieht es sie oftmals in die Natur oder sie verreist in afrikanische Länder.

ZUR PERSON

Sara Hintze schloss 2011 ihr Tierarztstudium im deutschen Gießen ab. Bis 2012 absolvierte sie in Edinburgh, UK, den Masterstudiengang „Applied Animal Behaviour and Animal Welfare“. 2017 promovierte sie an der Uni Bern. Derzeit forscht sie an der Boku in Wien. Hintzes Forschung wurde mehrfach preisgekrönt – u. a. von der Internationalen Gesellschaft für Nutztierhaltung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2020)

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