Der Craft Beer Shop-Inhaber, der die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer wegen übler Nachrede anklagte, zauberte kurz vor Prozessende eine angebliche Schlüsselfigur herbei.
Wien. Die Weichen waren gestellt. Am Freitag sollte es ein Urteil geben. Endlich. Dann kam alles anders. Bierlokal-Chef L., der einmal mehr die Rolle des Privatanklägers einnahm, durchkreuzte die Pläne des (unter Corona-Bedingungen) tagenden Gerichts: Er ließ zwar nicht den Prozess, aber doch die viel zitierte „Bombe“ platzen; indem er dem Ganzen eine völlig neue Wendung gab; indem er im Finish den großen Unbekannten präsentierte.
Der Reihe nach: Die Beschuldigte, Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer, war flankiert von ihrer Anwältin Maria Windhager im Großen Schwurgerichtssaal erschienen. Auch wenn es nicht ausgesprochen wurde: Die Politikerin rechnete, wie viele Beobachter auch, mit einem Freispruch. Schon allein deshalb, da eine erste Verurteilung wegen übler Nachrede vom Oberlandesgericht Wien aufgehoben worden war.
Zur Erinnerung: Die Grün-Politikerin hatte im Mai 2018 obszöne Facebook-Textnachrichten erhalten und diese von sich aus auf Twitter veröffentlicht. Als Verfasser benannte sie L., den Chef eines Craft Beer-Shops im 8. Bezirk. Immerhin waren die derben Worte von dessen Facebook-Account auf die Reise geschickt worden. L. bestritt aber, die vulgären Zeilen selbst geschrieben zu haben. Und schlüpfte (vertreten von Anwalt Adrian Eugen Hollaender) in die Opferrolle. Was Maurer tue, sei üble Nachrede. Schließlich sei der PC im Lokal gestanden und frei zugänglich gewesen.
Nur: Wer sich tatsächlich an dem Gerät zu schaffen gemacht haben soll, konnte L. während zweijähriger Verfahrensdauer bisher nicht sagen. Schon klar: Dies musste er auch nicht können. Aber es hätte seine Angaben gestützt. Dann kam der Freitag. Und da war er nun, nach all der Zeit – der lang gesuchte, große Unbekannte: „Willi“.
Wer „Willi“ sein soll, wollten alle wissen. Vor allem Richter Hartwig Handsur vom Straflandesgericht Wien. „Ein Lokalgast, ein Freund, ein Bekannter“, sagte L. und lehnte sich dabei entspannt zurück. „Hat der Willi auch einen Nachnamen?“, bohrte der Richter nach. L. bot daraufhin phonetische Interpretationen des möglichen Nachnamens, soweit er diesen im Gedächtnis haben wollte. Ferner meinte sich L. erinnern zu können, dass sein „Freund“ im 20. Bezirk lebe.
„Märchenstunde“ entfuhr es Maria Windhager. Sie ahnte dabei aber schon, dass die Sache mit „Willi“ so einfach nicht abzutun ist. Ein paar Angaben zum großen Unbekannten hatte L. dann ja doch gemacht. Und da war noch etwas: das schriftliche Geständnis dieses Mannes.
Auch dessen Präsentation war sehenswert. Am Schluss der Verhandlung, als sich der Richter schon anschickte aufzustehen und das (auch sprichwörtliche) Kappl aufzusetzen, verließ L. den Zeugen-Stand – ja, auch ein Privatankläger steht unter Wahrheitspflicht – und ging zum Richtertisch. Dort reichte er dem Herrn Rat ein gefaltetes Blatt Papier über das Corona-Plexiglas. Letzterer zeigte sich befremdet und verweigerte die Annahme. Wenn er etwas vorlegen wolle, dann doch bitte via Anwalt, erklärte der Richter dem Lokalchef. So geschah es. Adrian Eugen Hollaender nahm mit überraschtem Gestus das Papier in die Hand, würdigte es kurz und übergab es dem Gericht. Dann wurde es verlesen. Und die Überraschung war perfekt. „Willi“ gesteht. Er habe den „Blödsinn“ damals gemacht, also die obszönen Nachrichten geschrieben. Und: „Wir waren damals alle angetrunken.“