Mörderische Mafia. Bild vom Sarg des legendären Richters Paolo Borsellino, der 1992 zusammen mit fünf Leibwächtern in Palermo durch eine Autobombe getötet wurde.
Buch-Auszug

Die Kronzeugin: Frauen im Kampf gegen die Mafia

Die Sizilianerin Piera Aiella stellte sich der Cosa Nostra entgegen – und musste deshalb 27 Jahre lang untertauchen. Heute sitzt sie im Parlament in Rom. Die Journalistin Mathilde Schwabeneder porträtiert in ihrem neuen Buch Frauen, die es wagen, sich trotz Todesgefahr mit dem organisierten Verbrechen in Italien anzulegen. Ein Auszug aus dem Werk.

Bei der italienischen Parlamentswahl am 4. März 2018 fuhr die Fünf-Sterne-Bewegung einen unerwarteten Triumph ein. Mit knapp 33 Prozent der Stimmen wurde die laut Eigendefinition postideologische Gruppierung Italiens mit Abstand stärkste Einzelpartei.

Besonders fulminant war der Erfolg im Süden des Landes. 227 der gesamt 630 Sitze im Abgeordnetenhaus gingen an die Fünf Sterne. Viele der neuen, sehr unterschiedlichen Parlamentarier zogen zum ersten Mal in den imposanten Palazzo Montecitorio ein. Für jeden und jede wurde eine Kurzbiografie samt Foto auf die Parlamentswebsite gestellt. Doch bei einem Namen fehlte das Bild. Piera Aiello aus dem sizilianischen Wahlkreis Trapani blieb auch auf dem Parlamentsausweis ohne Gesicht.

Als die Sizilianerin vor mehr als einem Vierteljahrhundert beschloss, gegen die Cosa Nostra auszusagen, bedeutete dies das Ende ihres bisherigen Lebens. Fortan sollte sie versteckt, ausgestattet mit einer neuen Identität und unter Polizeischutz leben. Jetzt ist Piera Aiello die erste Kronzeugin in der Geschichte Italiens, die ins Parlament gewählt worden ist. 51 Prozent der Stimmen konnte sie auf ihr Konto verbuchen.

Und das, obwohl sie sich im Wahlkampf aus Sicherheitsgründen vor TV-Kameras und Fotografen nicht zeigen konnte. Doch die „unsichtbare Kandidatin“, das „Gespenst“, wie sie auch genannt wurde, ließ alle anderen Mitstreiter verblassen. Die Frau, die sich zu Beginn sogar im Parlament nur mit einem Schleier vor dem Gesicht zeigen konnte, erfährt in ihrer Heimat eine späte Anerkennung, die sie „tief berührt“.
„Das Leben mit einer falschen Identität war hart“, sagt Piera Aiello ohne Umschweife, da gebe es nichts zu beschönigen. Sie lächelt, während sie lebhaft erzählt, doch ihre Augen bleiben ernst.

„Ich war 27 Jahre lang verschwunden. Mir war klar, früher oder später muss ich aus dieser Geschichte herauskommen. Und ich wusste auch, dass ich meine Ängste überwinden muss. So habe ich dann bei einer Gedenkfeier für Mafiaopfer im Mai 2018 im sizilianischen Ort Valderice mein Kopftuch abgenommen und mich erstmals der Öffentlichkeit gezeigt.“ Völlig nackt und ohne jeglichen Schutz habe sie sich vor all den Menschen gefühlt. Es sei ein Kraftakt gewesen, der ihr großes Herzklopfen verursacht habe.

Während sie davon erzählt, spürt man, wie schwer ihr die Entscheidung gefallen ist. Die Vorstellung, ab nun würden Fotos von ihr im Umlauf sein, verursachte ihr regelrecht körperliches Unbehagen. „Stellen Sie sich vor, ich habe keine Fotos. Nicht einmal mit meinen Kindern. Keine Selfies. Nichts. Ich war zwar immer noch derselbe Mensch, aber dass man jetzt nicht nur meine Ideen und Überzeugungen wahrnehmen sollte, sondern auch meine Körperlichkeit, das war eine große Herausforderung für mich.“
Pieras Leben sollte sich wieder einmal radikal ändern.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

„Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra“: Pierfrancesco Favino als Tommaso Buscetta.
Regisseur im Gespräch

„Die Mafia kümmerte sich um die Ärmsten“

„Wir haben einen ausgesprochen schwachen Staatssinn“, sagt Marco Bellocchio über die Italiener. In „Il Traditore“ zeichnet er einen Mann, der die Gesetze der Mafia brach – und in Sizilien als gemeiner Verräter galt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.