Wort der Woche

Artensterben

Das Artensterben hält unvermindert an. Allerdings meinen Forscher nun, dass der Abwärtstrend auch wieder umgekehrt werden könnte – was vielfältigen Nutzen stiften würde.

Der Trend ist leider eindeutig: Wie der diese Woche veröffentlichte „Living Planet Report 2020“ der Naturschutzorganisation WWF einmal mehr zeigte, nimmt die Artenvielfalt dramatisch ab: Die Bestände von 4392 Arten und 20.811 Wirbeltier-Populationen sind demnach seit 1970 um 68 Prozent zurückgegangen; besonders schlimm dran sind Süßwasser-Bewohner (minus 84 Prozent). Verantwortlich dafür sind v. a. Flächenverbrauch, Übernutzung, Entwaldung und illegaler Handel geschützter Arten (Download: https://livingplanet.panda.org).

Der Bericht ist aber nicht nur eine Aneinanderreihung von Hiobsbotschaften – er enthält diesmal auch eine positive Nachricht: Es ist möglich, diesen unaufhaltsam scheinenden Abwärtstrend (zumindest an Land) aufzuhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom WWF beauftragte Studie eines internationalen Forscherkonsortiums unter Leitung von David Leclère vom Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. Untersucht wurden drei Szenarien und deren Kombinationen: erstens nachhaltige Landnutzung (nachhaltige Intensivierung und Handel); zweitens nachhaltiger Konsum (weniger Lebensmittelabfälle und Fleischverzehr); und drittens eine massive Ausweitung von Naturschutzgebieten von derzeit 15,5 auf 40 Prozent der Landfläche bis 2050 (Nature, 10. 9.).

Mit Abstand am erfolgversprechendsten erwies sich die Vergrößerung von Schutzgebieten: Dadurch könnte um 2050 eine Trendwende beim Artensterben erzielt werden. Wie wirksam diese Maßnahme ist, wurde in einer weiteren diese Woche veröffentlichten Studie unterstrichen: Durch Unterschutzstellen wurden seit 1993 immerhin rund 25 Vogel- und rund 11 Säugetierarten (vorerst) gerettet (Conservation Letters, 2020; e12762).

Allerdings: Biotopschutz allein ist nicht die Lösung: Würde man ausschließlich Schutzgebiete ausweiten, würden die Lebensmittelpreise stark steigen – eine Wiederausbreitung von Hunger und Armut wäre die Folge. Durch eine geschickte Kombination der drei Einzelstrategien könnte dies aber vermieden werden, so die Forscher. In diesem Fall könnte der Abwärtstrend sogar schon im nächsten Jahrzehnt gestoppt und umgekehrt werden. Und wie die Forscher betonen, könnten damit gleichzeitig auch Klimawandel, Überdüngung und Wasserknappheit gemildert werden.

Hält man sich diesen Mehrfachnutzen vor Augen, muss man sich ernsthaft die Frage stellen: Warum handelt die Welt nicht längst entsprechend? ⫻

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

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