Leitartikel

Das Moria-Dilemma und die Hartherzigen

APA/AFP/ANGELOS TZORTZINIS
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Weder Europas noch Österreichs Asylsystem wären kollabiert, wenn die Republik ein paar Minderjährige aus Moria aufgenommen hätte. Die ÖVP hat in der Flüchtlingsfrage die Mitte verloren.

Vorerst zehn europäische Staaten haben sich unter der Führung Deutschlands und Frankreichs zusammengetan, um nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria 400 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Österreich ist nicht dabei.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und der türkise Teil der Regierung führen für ihre Ablehnung im Wesentlichen drei Argumente an. Erstens: Wer sich nun der Macht mitleiderregender Bilder beuge und Flüchtlinge hole, ermutige eine Vielzahl anderer, nach Europa aufzubrechen. Solche Nachzieheffekte könnten, wie während der Flüchtlingskrise 2015, schnell außer Kontrolle geraten, so Kurz in einem Facebook-Video. Zweitens: Österreich habe schon genug geleistet und in den vergangenen fünf Jahren 200.000 Menschen Asyl gewährt, allein heuer wieder 3700 Kindern. Drittes Argument: Europa setze ein falsches Signal, wenn es Menschen aus einem Lager Schutz biete, das Insassen offenbar selbst in Brand gesteckt haben.

Der Vergleich hinkt. Das sind ernste Bedenken: Europa muss zweifellos einen abermaligen Kontrollverlust vermeiden. Doch der Vergleich mit 2015 hinkt. Derzeit ist weit und breit keine Flüchtlingskarawane erkennbar, die ungehindert durch Europa zöge. Es geht um eine Gruppe unter-18-Jähriger, die sich unter schrecklichen Bedingungen auf einer Insel aufgehalten hat. Kein einziger Regierungschef in Europa plädiert dafür, alle 12.000 Migranten aus Lesbos ungeprüft zu übernehmen. Zweitens: Österreich hat in der Vergangenheit sicherlich Überdurchschnittliches für Flüchtlinge geleistet, doch deshalb kann es sich nicht für alle Zeiten fast komplett aus dem Spiel nehmen. Drittens: Es wäre tatsächlich fatal, wenn Brandstiftung Schule macht und Migranten künftig ihr Ticket nach Mitteleuropa lösen, indem sie ihre Camps anzünden. Doch umgekehrt wäre es perfid, für das Feuer auf Lesbos, das einzelne Täter legten, alle ehemaligen Bewohner des Lagers in Haftung zu nehmen.

Den Menschen, die obdachlos auf Lesbos umherirren, muss geholfen werden. Die Frage ist nur, wie. Die Griechen haben ihre Unfähigkeit ausgiebig bewiesen. Die Zustände im heillos überbelegten Lager Moria waren über Jahre hinweg skandalös. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Seit 2015 hat die EU Griechenland 2,3 Milliarden Euro für Flüchtlingsbetreuung zur Verfügung gestellt. Was ist mit diesem Geld passiert?

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