Analyse

Der kleine Kreis im Kanzleramt

Bundeskanzler Sebastian Kurz telefonierend unterwegs im Kanzleramt.
Bundeskanzler Sebastian Kurz telefonierend unterwegs im Kanzleramt.Michael Gruber / EXPA / pictured
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Neue Leute haben zwar an Einfluss gewonnen, an der Rollenverteilung im Team um Sebastian Kurz hat sich jedoch seit Jahren wenig geändert.

Das neue türkise Prinzip bedeute für das Kanzleramt totale Autorität des Chefs im Verbund mit einer kleinen eingeschworenen Truppe, schreibt Manfred Matzka in seinem Buch „Hofräte, Einflüsterer, Spindoktoren – 300 Jahre graue Eminenzen am Ballhausplatz“ (siehe Besprechung unten). „Sie sprechen, denken und kleiden sich gleich, wirken folglich wie geklont und sind gegenüber dem Amt pingelig und herablassend.“ Die Übergangsregierung von Brigitte Bierlein kommt bei Matzka hingegen – erwartungsgemäß – sehr gut weg. „Ein Aufatmen ging durch die Häuser am und rund um den Ballhausplatz.“

Manfred Matzka, Sozialdemokrat, langjähriger Präsidialsektionschef im Kanzleramt, feierte zur Zeit der Übergangsregierung nämlich ein Comeback im Bundeskanzleramt: Offiziell war er Berater von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. In Wirklichkeit mischte er am Ballhausplatz jedoch wieder ordentlich mit. Sehr zum Argwohn der „Kurz-Boys“. Die nun wiederum in Matzkas Buch nicht wirklich gut aussteigen. Die Abneigung ist also beiderseitig.

Seit Dezember 2019 hat Sebastian Kurz nach halbjährigem Interregnum das Kanzleramt wieder inne. An wichtigen Stellen sitzen mittlerweile zwar auch neue Leute, das Kernteam blieb jedoch erhalten.
Eine größere Rolle – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – spielt jetzt etwa Bernhard Bonelli, eigentlich schon seit 2018 Kabinettschef von Sebastian Kurz. Bei den Regierungsverhandlungen mit den Grünen war er dem ÖVP-Chef kaum von der Seite gewichen. Bonelli wird eine schnelle Auffassungsgabe attestiert. Und ein Detailwissen in den vielfältigsten Bereichen. „Eine äußerst seltene Begabung“, sagt ein Kanzleramtsmitstreiter.

Ist Bonelli nun also das, was Stefan Steiner früher für Kurz war? Nein, denn Steiner gibt es nach wie vor. Wie gesagt: Das Kernteam hat Bestand. Und dieses umfasst – und das seit Beginn des Aufstiegs von Sebastian Kurz im Integrationsstaatssekretariat – denselben Kreis: Da wäre einmal Stefan Steiner, der Denker und Lenker hinter dem Projekt. Dann der für alles Organisatorische zuständige Axel Melchior, heute Generalsekretär der ÖVP. Dazu kommt der Spindoktor des Kanzlers, Gerald Fleischmann. Kurz' persönliche Assistentin Lisa Wieser. Und Kristina Rausch, die offiziell die Social-Media-Agenden betreute, darüber hinaus jedoch ein wichtiger Input-Geber und auch ein Korrektiv für Kurz ist. Sie bringe die junge und weibliche Sicht ein, heißt es in der ÖVP. In der Zentrale der Volkspartei ist Rausch seit Jänner 2020 Kommunikationschefin. Man sieht schon: Die Wege zwischen Ballhausplatz und Lichtenfelsgasse sind relativ kurz.

Neu angedockt im innersten Kreis des Kanzlers ist Markus Gstöttner als stellvertretender Kabinettschef. Und wieder eingegliedert wurde Bernd Brünner – als Generalsekretär im Kanzleramt. Er war schon einmal Kurz' Kabinettschef.

Die Aufgabenteilung sieht in etwa so aus: Stefan Steiner ist der Stratege für das Langfristige. Er ist mittlerweile mit einer eigenen Beratungsagentur selbstständig, hat im Grunde genommen aber nur einen Kunden – Sebastian Kurz. Auch Steiner wechselt zwischen Kanzleramt und ÖVP-Zentrale hin und her, mal ist er hier, mal dort. Gerald Fleischmann ist der Stratege für das Kurzfristige, das, was medial ankommen soll. Operativ umgesetzt wird das von den Kurz-Sprechern Johannes Frischmann, Rupert Reif und Etienne Berchtold. Wobei Berchtold eine Sonderrolle zukommt. Er ist einer der maßgeblichen außenpolitischen Berater von Kurz. Er scannt akribisch internationale Medien und Berichte. Teilnehmer an Sitzungen am (bisherigen) Höhepunkt der Coronakrise erinnern sich daran, dass Berchtold stets auf Knopfdruck Details parat hatte, wie die Situation in anderen Ländern, gepaart mit politischen Implikationen, sei.

Markus Gstöttner wiederum kommt eine tragende Rolle in wirtschaftlichen Fragen zu, in der Corona-krise war er auch für Beschaffungsagenden zuständig. „Wir haben ja teilweise das Gesundheitsministerium ersetzt“, sagt einer aus dem Kurz-Kreis. Das kann natürlich auch ein Spin sein, es ist aber nicht auszuschließen, dass es stimmt. Denn das erst im Dezember von den Grünen übernommene Gesundheitsressort wurde von der Pandemie offensichtlich überrollt – auch weil die Arbeitsweise zuvor eine andere war: Soziales und Gesundheit sind an sich vielfach Landessache. Das Ministerium war also eher eine Dachorganisation, kein zentraler Taktgeber.

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