Widerstand

Druck auf Boris Johnson im Brexit-Streit wächst deutlich

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Viele britische Parlamentarier sind angesichts der neuen Pläne entsetzt. Die Ex-Regierungschefs Tony Blair und John Major riefen das Parlament zum Widerstand auf.

Im Brexit-Streit wächst der Druck auf den britischen Premier Boris Johnson, der mit einem Gesetz das längst gültige EU-Austrittsabkommen wieder aufbohren will. Die Ex-Regierungschefs Tony Blair und John Major riefen das Parlament zum Widerstand auf und nannten das Vorhaben schamlos. Die EU-Seite ist gereizt. Chefunterhändler Michel Barnier mahnte Johnson am Sonntag, bei den Fakten zu bleiben.

Johnson will mit dem sogenannten Binnenmarktgesetz entscheidende Vertragsklauseln zu Nordirland aushebeln, die von Anfang an umstritten waren. Sie sollen verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland eine feste Grenze entsteht.

"Unverantwortlich, grundsätzlich falsch und in der Praxis gefährlich"

Johnsons Vorgänger Blair (Labor) und Major (Konservative) nannten dies in der "Sunday Times" "unverantwortlich, grundsätzlich falsch und in der Praxis gefährlich". Das Gesetz werde den irischen Friedensprozess und die Handelsgespräche mit der EU schädigen. Blair und Major sind seit jeher Gegner der Scheidung Großbritanniens von der Europäischen Union.

Auch im Parlament regt sich erheblicher Widerstand gegen das Gesetz. Medienberichten zufolge lehnen es etwa 30 konservative Abgeordnete ab - Johnson verfügt allerdings über eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus. Auch aus dem Oberhaus gab es bereits scharfe Kritik.

Mit einem eindringlichen Appell versuchte Johnson, die Kritiker von seinem Brexit-Kurs zu überzeugen - und griff dabei die EU scharf an. "Lasst uns die EU dazu bringen, ihre Drohungen vom Tisch zu nehmen. Lasst uns dieses Gesetz durchbringen, unsere Verhandler unterstützen und unser Land schützen", schrieb er im "Telegraph" (Samstag).

Die EU drohe damit, dass sie über Zölle auf Einfuhren von Großbritannien nach Nordirland hinaus "sogar den Transport von Lebensmitteltransporten von Großbritannien nach Nordirland stoppen könnte". Dadurch wolle die EU ihre "extreme Interpretation" der Vereinbarungen zu Nordirland durchsetzen. Die EU versuche, einen Teil des Vereinigten Königreichs vom Rest abzutrennen und die wirtschaftliche und territoriale Einheit zu zerstören. Das habe man niemals ernsthaft angenommen, als man den Brexit-Vertrag "in gutem Glauben" mit der EU verhandelt habe, schrieb Johnson.

EU-Unterhändler Barnier konterte am Sonntag auf Twitter. Die Vereinbarungen zu Nordirland seien "keine Bedrohung der Integrität des Vereinigten Königreichs. Wir haben diesen delikaten Kompromiss mit Boris Johnson und seiner Regierung ausgehandelt, um Frieden und Stabilität auf der irischen Insel zu waren. Wir hätten über die Konsequenzen des Brexits nicht klarer sein können." In einem zweiten Tweet meinte Barnier: "Bei den Fakten zu bleiben, ist essenziell."

„Von politischen Launen abhängig"

Über das Binnenmarktgesetz wird das Unterhaus ab diesen Montag debattieren. "Das machen wir nicht leichtfertig", sagte Justizminister Robert Buckland dem Nachrichtensender Sky New. Die Regierung sei verantwortungsvoll. "Ich kann unsere Entschlossenheit nur wiederholen, einen Deal zu bekommen."

Österreichs Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sagte dagegen, er fühle sich an den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" erinnert. Darin ist ein Mann in einer Zeitschleife gefangen. "Irgendwann wird man sich überlegen müssen von britischer Seite, wie ernst man das Ganze meint", so Blümel am Freitag. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) warf London einen Bruch von Gesetzen vor. In einer Stellungnahme bedauerte sie, "dass das britische Vorgehen offensichtlich von politischen Launen abhängig ist, und wir nicht darauf vertrauen können, dass geschlossene Vereinbarungen auch halten".

Für die EU handelt es sich ganz klar um einen Rechtsbruch. Brüssel forderte London daher auf, bis spätestens Ende September einzulenken. Kritiker befürchten, dass das geplante Gesetz der Todesstoß für den Handelsvertrag sein könnte, der die wirtschaftlichen Beziehungen ab 2021 neu regeln soll. Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase droht ohne Vertrag ein harter Bruch mit Zöllen und hohen Handelshürden.

(APA/dpa)

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