Zwergentod

So würdelos zu sterben, das war wirklich das Letzte. Inspektor Feichtinger schüttelte den Kopf und blickte auf den leblosen Körper am Kiesweg.

Der Tote war kaum einen Meter 50 groß. Er lag mit eingeschlagenem Schädel zu Füßen eines steinernen Gnoms. Nur am Klo von einer herabfallenden Decke erschlagen zu werden, war noch stilloser. Feichtinger drehte sich am Absatz um und ließ seinen Blick durch den Zwergerlgarten kreisen. Mehr als ein Dutzend Steinzwerge auf Sockeln drückten ihre dicken Bäuche heraus und streckten die überdimensionalen Köpfe in die Luft. Mit blödsinnigen Grimassen blickten sie auf die Besucher, die sich vom Mirabellgarten hierher verirrten. Die steinernen Burschen hätte er ja schon allein aufgrund ihrer Physiognomie verhaftet. Ein Delikt hätte er mit Links gefunden. Bei solchen Dingen hatte er Routine. Aber die half ihm jetzt auch nicht. Mit ihm ging es sichtlich abwärts, wenn er jetzt schon im Zwergerlgarten von Schloss Mirabell ermitteln musste.


Josef Meissnitzer hieß der kleine Tote. Er gehörte zur Stadtgärtnerei und jätete meist die Beete im Mirabellgarten. Der Zwerg rechts von der Leiche hatte seinen Kopf verloren. Sowas passierte auch nur einem Gnom. Einem anständigen Kieberer nie. Feichtinger fand den Kopf vier Meter neben dem Toten. An einer Seite zeigte der steinerne Riesenschädel Blutspuren.
„Jedermann!", brüllte der Tod wie immer im Juli vom Dom herüber. Ja, das hier sah auch aus wie schlechtes Theater. Langsam näherte sich Feichtinger seinem üblichen Gemütszustand. Er wurde grantig. Die Szifkovits, die Polizeiärztin, ließ sich wieder mal Zeit und ihm alle Arbeit machen. Kruzitürkn.


"Sie da, was tun Sie hier?", herrschte er einen Mann an, der neben einem Uniformierten erwartungsvoll zu ihm blickte. "Ich hab alles gesehen", beeilte sich der Mann zu erklären und wippte nervös auf seinen Zehen. "Ich habe mit Josef gearbeitet."
"Na, dann verraten Sie mir doch gleich, wer's war. Ich hab schließlich auch ein Privatleben."
"Der Meissnitzer, mein Kollege Rihacek und der Direktor haben miteinander gestritten. Lautstark. Sie waren grad die Einzigen hier im Zwergerlgarten. Ich hab da hinten beim Eingang ein paar Zweigerl weggezwickt, damit sie die Besucher nicht in die Wadeln stechen. Und auf einmal war's ruhig. Da wusste ich: Jetzt ist was passiert."
Feichtinger nickte. "Und wer hat's passieren lassen?"
"Das weiß ich nicht genau. Ich hab ja nicht hingeschaut, während ich mit der Astschere gearbeitet hab."
"Na fein", sagte Feichtinger. "Bringen Sie mir die zwei her. Aber schneller als eine spanische Wegschnecke." Wieder schüttelte er den Kopf. Heute war er ein bisschen melancholisch. Dass der Beamte an sich immer weniger Respekt genoss, tat ihm seelisch weh. Oder zumindest schmerzte es dort, wo er seine Seele vermutete. Stöhnend legte er seine Hand auf die rechte Bauchseite. Einen der beiden Männer, die ihm jetzt entgegen kamen, kannte Feichtinger aus dem Lokalfernsehen. Stadtgartendirektor Schalko. Ein Mann wie ein Schrank und beliebt. Das machte ihn besonders verdächtig.
Rihacek wirkte schmächtig neben seinem Chef. Er hatte ein apart geschnittenes Gesicht, und wenn man ihn nicht in ganzer Größe zeigte, hätte er durchaus als Model durchgehen können. Einer von den zweien hatte also Meissnitzer mit einem Zwergenkopf den Schädel eingeschlagen.
„Sie riechen ... interessant", begrüßte Feichtinger den kleineren Gärtner Rihacek und rümpfte verächtlich die Nase.
„Chanel 5", entfuhr es Stadtgartendirektor Schalko. Wenn er sprach, brachte sein dröhnender Bass auch die Brustkörbe der Zuhörer zum Mitschwingen.
„Herr Stadtgartendirektor Schalko. Warum haben Sie denn mit Meissnitzer und Rihacek gestritten?"
„Rein dienstlich", brummte Schalko. „Meissnitzer ist ein Tachinierer, und Rihacek ist seit drei Wochen im Krankenstand. Er ist für die Rosenbeete in Mirabell zuständig und gestürzt. Dabei hat er sich das Handgelenk gebrochen. Er fehlt im Betrieb. Von meinen 200 Leuten sind sowieso nur 130 einsatzfähig. Wenn von der Einsertruppe auch noch einer fehlt, geht er wirklich ab."
Jemand flüsterte Feichtinger etwas ins Ohr. Erst jetzt merkte er, dass der eilfertige Zeuge von Vorhin neben ihm stand und die improvisierte Vernehmung belauschte. „Was?", zischte Feichtinger und fuhr sich mit dem linken Zeigefinger in den Gehörgang.
„Der Rihacek und der Meissnitzer hatten ein Verhältnis mit Schalkos Frau", flüsterte der Zeuge noch einmal und berührte mit seinem Mund fast Feichtingers Ohr.
„Na dann. Herr Schalko, wie heißt denn Ihre Frau?"
„Rosa", brummte Schalko diesmal so tief, dass Feichtingers Backenknochen zu zittern begannen.
„Und Sie, Rihacek? Welches Verhältnis haben Sie als Rosengärtner denn zu Rosa?"
„Ich liebe rosa."
„Sie wissen schon, was ich meine."
Rihacek zuckte mit den Schultern.
„Und jetzt sagen Sie mir noch, welche Rolle Meissnitzer in der ganzen Sache spielte."
„Er hat mir meine Freundin ausgespannt", sagte Rihacek und kickte mit dem Fuß einem Löwenzahn den Kopf weg. Eigentlich wäre jetzt Zeit gewesen, beiden Herren mit der rechten Hand zu zeigen, wo die Wahrheit wohnte. Aber in aller Öffentlichkeit verzichtete Feichtinger darauf. Trotz seines Blutdrucks, der verkalkten Gefäße und seiner Leberwerte bestand eine kleine Chance, die Pension zu erleben. Eine Diszi hätte ihm da gerade noch gefehlt. Zur Wahrheitsfindung gab es Verhörzimmer. Feichtinger holte zwei Plastikhandschuhe aus seiner Hosentasche, zog sie wortlos über und ging zum steinernen Zwergenkopf, mit dem Meissnitzer offenbar erschlagen worden war. Ächzend bückte er sich und versuchte ihn aufzuheben. Er spürte einen Stich im Rücken und ließ es bleiben. 40 Kilogramm hatte der Gnomenschädel mit Sicherheit. Der Mörder war auf jeden Fall ein Gärtner. Drei Männer und eine Frau. Wie konnten diese Osterhasen nur? Normalerweise sollte es umgekehrt sein. Feichtinger deutete auf einen der Gärtner und sagte „Kommen Sie mit und unterschreiben Sie Ihr Geständnis."

Frage: Auf wen hat Feichtinger gedeutet?

>>Zur Lösung

Der Autor:

Franz Zeller, geboren 1966 in Kirchdorf/Krems, arbeitet in Wien als Journalist und Moderator für Ö1. Er hat mehrere Hörspiele und Kurzprosatexte verfasst, im Sommer ist sein Kriminalroman „Herzlos" im Pendragon-Verlag erschienen.

www.krimiautoren.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.