Die Ausgrabung "Sweet Charity" gefällt, wiewohl wenige Ohrwürmer geboten werden. Lisa Habermann erfreut als lebhafte Protagonistin.
Es wird Zeit, dass sich die Musicals Heldinnen zulegen, die mehr im Kopf haben, als in Sex-Bars zu arbeiten und hinter Männern herzurennen. Wie wäre es mit einer emanzipierten, energischen Dame wie der TV-Moderatorin Lisa Wartberg im Udo-Jürgens-Musical "Ich war noch niemals in New York"? Gut, "Sweet Charity" von Cy Coleman und Neil Simon stammt aus den Sechzigerjahren, die, trotz 1968er-Revolution, in puncto Feminismus nicht so fortschrittlich waren, wie man glauben sollte: Die Machos von damals hielten sich lang, teilweise sitzen sie noch immer am Regiepult. Die Chancen für Regisseurinnen haben sich erst in den letzten Jahren verbessert, auf der Bühne allerdings bieten neue Dramen schon länger spannendere Rollen für Ladies als früh verblichene Jungfrauen.
Der Film war da seit jeher nach allen Richtungen offener. Die Nachtklub-Sängerin Sally Bowles aus "Cabaret" (derzeit ebenfalls in der Volksoper zu sehen), das Werk hatte im gleichen Jahr wie "Sweet Charity" Premiere, handelt selbstbestimmt: Sie verliebt sich in einen Schriftsteller, der eher ein Softie ist, das gemeinsame Kind treibt sie ab, weil sie ihr Leben als Freigeist ("Bye bye, mein lieber Herr") fortsetzen will.
Anklänge an Fellini und Horváth
"Sweet Charity" mag man als konservative Version von "Cabaret" betrachten, Bob Fosse verfilmte beide Stücke, wobei "Sweet Charity" noch einen anderen, ferneren Bezug aufweist: zu Federico Fellinis "Die Nächte der Cabiria" mit Giulietta Masina, eine Art Variation des Fellini-Klassikers "La Strada". Die Vorliebe von männlichen Regisseuren für die Schönen der Nacht und fürs Nachtklub-Milieu scheint notorisch zu sein. Wir wollen nicht hoffen, dass das damit zu tun hat, dass dort das Weib noch so ist, wie der Mann es am liebsten hat: hübsch, sexy, devot und immer gut aufgelegt.