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Grippesaison als Testlauf

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Symbolbild.(c) REUTERS (Kai Pfaffenbach)
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Der Transport von Impfstoffen kann aufgrund strenger Auflagen nur von Spezialisten durchgeführt werden. Ob deren Kapazitäten für einen allfälligen Covid-19-Impfstoff ausreichen, hänge von vielen Faktoren ab, sagen Experten.

Wenn es einen Covid-19-Impfstoff gibt, wird die Sicherstellung der Verteilung eine große Herausforderung für die Pharma-Logistik“, sagt Andreas Windischbauer. Er ist Präsident von Phago, der Interessensvertretung der österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhändler. Diese liefern allmonatlich rund 20 Millionen Medikamente an die heimischen Apotheken sowie an andere Gesundheitseinrichtungen und tragen damit – gemeinsam mit einigen in diesem Spezialbereich tätigen Speditionen – zur Versorgung der Bevölkerung bei.

Das Heikle an Impfstoffen: Sie sind sehr temperaturempfindlich. „Eine Kühlung bei zwei bis acht Grad während der gesamten Lieferkette ist die Regel und muss nicht nur eingehalten, sondern auch genau dokumentiert werden“, erklärt Renée Gallo-Daniel, Sprecherin des Verbandes der österreichischen Impfstoff-Hersteller. „Da fast alle Impfstoffe auf flüssiger Basis hergestellt werden, besteht aber auch die Gefahr des Gefrierens“, weist Windischbauer auf das andere Extrem hin. Sensorik und Elektronik in den Spezialtransportern stellen die richtige Temperatur während der Transporte sicher.

Sollte eine komplette Lieferung dennoch unbrauchbar werden, stünde man vor einem Problem, das bisher zum Glück noch nie tatsächlich eingetreten ist: einem Engpass an Impfstoff. Denn einfach Nachschub von den Herstellern anzufordern, ist kaum möglich. Windischbauer erklärt dies anhand des Grippeimpfstoffs: „Es gibt mehrere unterschiedliche Grippeviren. Die Pharma-Produzenten wählen die Zusammensetzung des Impfstoffs zur Bekämpfung genau jener Virenarten, die von den Experten für das betreffende Jahr erwartet werden – und zwar schon vor Beginn der Grippesaison, damit der Impfstoff rechtzeitig auf dem Markt ist.“ Sollte es während der Saison zu Versorgungsschwierigkeiten kommen, wären alle Impfmittel mit genau dieser Zusammensetzung längst verteilt.

Gute Abstimmung nötig

Ähnliches gilt für eine allfällige Covid-19-Impfung. Windischbauer sieht zudem das System möglicherweise an seine Kapazitätsgrenzen kommen. „Es wird eine noch nie da gewesene Menge an Kühlware kommen. Noch ist aber unklar: Wird alles auf einmal geliefert oder in Tranchen?“ Österreich spielt dabei eine kleine Rolle im globalen System. Experten rechnen mit Milliarden Impfdosen, die rund um den Erdball verteilt werden müssen. Internationale Speditionen sind da ein wichtiger Faktor. Das Schweizer Unternehmen Kühne + Nagel beispielsweise, das auch in Österreich vertreten ist, betreibt weltweit 230 Luftfracht-Hubs für temperaturgeführte Transporte. Yngve Ruud, Mitglied der Geschäftsleitung, verweist darauf, dass nicht nur die Lieferung, sondern auch die Lagerung von Impfstoffen hohen Anforderungen gerecht werden muss und die Kühlkette dabei nicht unterbrochen werden darf.

Die Mitgliedsbetriebe der Phago verfügen hierzulande über 23 Lager. „Wenn die bestellte Menge einmal in diesen Lagern ist, läuft alles über die normalen österreichischen Vertriebswege , sagt Windischbauer. „Da braucht es bei Mengen, wie wir sie im Falle eines Covid-19-Impfstoffs erwarten, eine gute Abstimmung, auch mit den staatlichen Stellen. Wenn man jetzt Einsatzpläne erarbeitet, haben wir noch genügend Vorlaufzeit.“ Gallo-Daniel bringt weitere Fragen ins Spiel: „Wer soll prioritär geimpft werden? Und wer impft - niedergelassene Ärzte oder öffentliche Impfstellen? Ist es eine Einmal-Impfung oder sind mehrere Dosen notwendig? All das spielt für die Logistik eine essenzielle Rolle.“

Eine Frage der Impfbereitschaft

Die kommende Grippesaison sei ein guter Testlauf, meint Windischbauer. Da erwarten die Fachleute nämlich ein Ansteigen der Durchimpfungsrate von üblicherweise acht auf rund elf Prozent, da viele Menschen Angst vor einer Doppelinfektion durch Corona- und Grippeviren haben. „Da wird sich dann zeigen, ob es Versorgungsprobleme gibt, und wir können daraus für eine Covid-19-Impfung lernen“, sagt der Experte.

Entspannter sieht Peter Overkamp einem Covid-19-Impfstoff entgegen. Er ist Geschäftsführer der im oberösterreichischen Hörsching ansässigen Schachinger Logistik Holding, bei der Transport und Lagerung von Pharmazeutika ein knappes Drittel des Unternehmensumsatzes ausmachen. „Letztlich hängt alles von der Impfbereitschaft der Bevölkerung ab“, sagt er. „Wenn sie sich im Bereich der Grippeimpfung bewegt, wird es kein Problem geben. Zudem sind Impfstoffe vom Volumen her eher klein, daher wären selbst mehrere hunderttausend Einheiten für Österreich in einem ersten Schritt logistisch durchaus bewältigbar.“

Auf einen Blick

Die Impfstoffhersteller lassen den Großteil ihrer Produkte über Großhändler an Apotheken oder Ärzte mit Hausapotheke liefern. Weitere Impfstoffe gehen an Krankenhäuser, die in beschränktem Umfang Impfungen durchführen, sowie an Stellen der öffentlichen Verwaltung, die diese Bestände für besondere Impfaktionen anfordern. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Herstellung und Inverkehrbringung sind in Österreich in der Arzneimittelbetriebsordnung geregelt. Für die kommende Grippesaison stehen österreichweit 1,1 Millionen Impfstoffdosen zur Verfügung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2020)

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