Innovation

„Lediglich eine Frage des Mindshifts“

Reale Zukunftsvision: Die Waren suchen sich selbst die passenden Ladungsträger.
Reale Zukunftsvision: Die Waren suchen sich selbst die passenden Ladungsträger.(c) Getty Images/iStockphoto (NicoElNino)
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Das Physische Internet könnte Waren schneller, effizienter und umweltfreundlicher transportieren. Mehrere österreichische Pilotprojekte wollen den Beweis hierfür antreten.

Die wachsende Zahl an weltweiten Gütertransporten und ihre Abwicklung auf meist ressourcenintensiven Wegen stellt Umwelt und Gesellschaft vor immer größer werdende Herausforderungen. Diesen muss schnell und intelligent begegnet werden. Eine Möglichkeit hierfür stellt die kooperative Logistik und in Folge das Physical Internet dar. „Während heute Güter über große Distanzen durch einzelne Transportdienstleister transportiert werden, wird es in Zukunft fragmentierte, anbieter- und verkehrsträgerunabhängige Transporte geben“, sagt Sandra Stein von Fraunhofer Austria. Intelligente Behälter werden sich demnach – analog den Datenpaketen im WWW – automatisch den effizientesten Weg durch die Transportnetze suchen und je nach Bedarf von Straße, Schiene oder Wasserstraße sowie von verschiedenen Hubs Gebrauch machen.

Lösbare Probleme

Zwischen 2030 und 2040 könnte es laut Stein soweit sein: Viele Elemente, wie intelligente Boxen, gäbe es bereits als Prototypen. Clouds zur Datenspeicherung und offene Plattformen seien ebenfalls bereits realisiert. Auch die mit dem Physischen Internet verbundenen rechtlichen Fragestellungen, etwa im Wettbewerbsrecht, seien lösbar, ist Matthias Prandstetter vom Austrian Institute of Technology AIT überzeugt. „Aber die Umsetzung ist keine Frage der Technik, sondern des Mindshifts“, sagt Stein. Und Prandstetter ergänzt: „Die größte Herausforderung sind die Menschen und deren Vertrauen in die Technik, die Fairness sowie die Transparenz.“ Und somit die Bereitschaft, sensible Daten offenzulegen und zu kollaborieren. „Mit Einzelspielern funktioniert das Physische Internet nämlich nicht“, betont Stein. Auch Vanessa Langhammer, CIO Rail Cargo Austria, geht davon aus, dass die Logistikwelt noch nicht so weit sei. „Obwohl es ein bahnbrechendes Thema ist, wenn sich Einheiten selbst durch die Welt bewegen“, so Langhammer. Um der Logistikbranche das Thema schmackhaft zu machen, sei es daher wichtig, zu beweisen, dass das Internet of Things (IoT) funktioniere. „Dabei müssen die Großen als Vorbild fungieren“, fordert Stein. Ein Weg dazu könnte das Leitprojekt „Physical Internet through Cooperative Austrian Logistics (PhysICAL)“ sein, an dem 17 österreichische Partner aus Transportwirtschaft und Logistik teilnehmen und das von Stein koordiniert wird. Mit diesem Projekt, das im Rahmen des FTI-Programms „Mobilität der Zukunft“ durch das Bundesministerium für Klimaschutz gefördert wird, sollen in den nächsten vier Jahren die für Österreich nötigen Grundlagen für eine flächendeckende Umsetzung geschaffen werden. Vier Branchen stehen dabei im Mittelpunkt: So werden etwa kooperativ genutzte Transportgebinde für die Holzwirtschaft entwickelt. Diese sollen im Murtal und im Lungau zum Einsatz kommen und durch eine smarte Holzlogistik ermöglichen, etwa 30.000 des derzeit 100.000 Tonnen umfassenden Transportvolumens von der Straße auf die Bahn zu verlagern. Ein intelligenter Behälter für Paketsendungen steht in einem Pilotprojekt in Graz im Zentrum. Statt einer Vielzahl von Paketdienstleistern soll dort künftig eine neutrale Flotte Pakete in intelligenten Boxen an zentrale Standorte ausliefern und so den Verkehr im innerstädtischen Raum entlasten. Digitale Plattformen bilden den Schwerpunkt der anderen beiden Projekte: Das erste reale Handelshaus der virtuellen Welt wird es produzierenden KMU ermöglichen, am eCommerce teilzunehmen. Durch das gemeinsame Abwickeln von Lagerung, Transporten und IT-Lösungen wird ein erfolgreicher Vertrieb von der Unternehmensgröße unabhängig. „Der vierte Pilot sieht die Entwicklung einer offenen Transportmanagement-Plattform vor. Diese soll die Buchung eines intermodalen Transports so sehr vereinfachen, dass dieser mit wenigen Klicks durchgeführt werden kann“, sagt Stein.

Neue Aufgaben für Frächter

Gleichzeitig gesteht sie ein, dass nicht jeder vom Physischen Internet profitieren wird. „Das klassische Frächterwesen wird es dann in dieser Form nicht mehr geben“, glaubt sie. Vorstellbar sei aber, dass Frächter im Gegenzug Aufgaben wie etwa die Reinigung und Reparatur der Boxen übernehmen oder andere Services anbieten könnten. Auch die letzte Meile müsse weiterhin bedient, Spezialtransporte durchgeführt werden. „Kleine Unternehmen sind daher gut beraten, sich zu überlegen, in welcher Nische sie sich betätigen wollen“, rät die Expertin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2020)

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