Porträt

Von Ödipus zu Moses: Neuer Film über Sigmund Freud

Die treue Tochter am Arm: Sigmund Freud, schon von der Krankheit gezeichnet, und Anna Freud.
Die treue Tochter am Arm: Sigmund Freud, schon von der Krankheit gezeichnet, und Anna Freud. Filmgarten
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„Jude ohne Gott“ ist der Untertitel des Films von David Taboul. Das mag plakativ klingen, doch es ist ein kenntnisreiches Porträt, mit vielen gut gewählten Originalzitaten, assoziativ, aber nie plump bebildert. Ab 18. September im Kino.

„Auf irgendeinem der dunklen Wege hinter dem offiziellen Bewusstsein hat mich der Tod des Alten sehr ergriffen.“ Das schrieb der junge Freud 1896 an seinen „teuren Freund“ Wilhelm Fließ über den Tod seines Vaters Jakob. In David Tebouls Film sagt es, zu unscharfen grauen Bildern aus einem Friedhof, eine grabestiefe, steinalte, brüchige Stimme (in der deutschen Version: Johannes Silberschneider, meisterlich). Kein Zweifel: Es ist ein alter Mann, der hier spricht, selbst ein Vater, mehr noch: ein Patriarch.

Der Sohn, der sich mit Ödipus identifizierte, in einem langen Leben zum Vater wurde, zum Übervater einer Bewegung, der sich im „Mann Moses“, dem Helden von Freuds letztem Werk, fand (und diesen sogleich in zwei Männer zerlegte): Das ist eine Möglichkeit, das Leben und die Lehre Sigmund Freuds zu erzählen, vielleicht die tiefsinnigste. David Teboul hat sie gewählt. Sein Freud ist nicht nur Erforscher seelischer Abgründe, sondern vor allem selbst ein Abgrund, vor dem es einem schwindelt, wenn man hinabsieht.

„Jud, herunter vom Trottoir!“

„Acheronta movebo“, ich werde die Unterwelt bewegen: Dieses Motto gab Freud 1900 seiner „Traumdeutung“, Teboul beginnt seinen Film konsequent mit einer Traumszene, in der Freud sich selbst als Kind sieht (wie er einem Mädchen eine gelbe Blume wegnimmt) und die er gleich selbst interpretiert („das heißt ja deflorieren“). Bald darauf kommt schon die schon im Alter von vier Jahren erwachende „libido gegen matrem“, die er bei einer Fahrt im Schlafwagen nach Wien „nudam“ sah, und wir sind mitten im Drama. Das in weiteren Kindheitserinnerung zugespitzt wird: Freud muss zusehen, wie ein Mann seinem Vater den Hut vom Kopf reißt und mit den Worten „Jud, herunter vom Trottoir!“ in den Schlamm wirft. Der Vater lässt's mit sich geschehen: „Das erschien mir nicht heldenhaft von dem großen, starken Mann“, kommentiert Freud. Am Ende kommt der Film noch einmal auf diesen Vorfall zurück: „Er rächte die Demütigung seines Vaters, indem er ein berühmter Mann wurde.“ Aus dem Zusammenhang gerissen, mutet das trivial an, doch davor erinnert Teboul klugerweise an die erste Befassung Freuds mit Mose, im Jahr 1914, mit der Skulptur des Michelangelo: Der vom Gottesberg abgestiegene Stifter, die Hand im Bart, unterdrücke den leidenschaftlichen Zorn, um die Gesetzestafeln zu schützen.

Genauso kenntnisreich ist die Darstellung des Verhältnisses zu C. G. Jung, den Freud erst zu seinem Sohn, dann zu seinem – wenn auch nicht jüdischen – Josua stilisierte und endlich mit Bitternis aus seinem Herzen riss. Von einer Abfallbewegung sollte er später sprechen, auch das ein religionsgeschichtlich inspirierter Ausdruck.

„Jude ohne Gott“: Der Titel des Films mag plakativ klingen – auf Deutsch verstärkt durch den Anklang an Horváths „Jugend ohne Gott“ –, doch Teboul hat sich sehr ernsthaft mit dem Thema befasst, hat wohl auch Yosef Hayim Yerushalmis Standardwerk „Freuds Moses“ gelesen. Als letzten Satz wählte er Freuds in „Totem und Tabu“ gegebene Antwort auf die fiktive Frage, was denn an ihm noch jüdisch sei, „nachdem du all diese Gemeinsamkeiten mit seinen Volksgenossen aufgegeben hast“, sie lautet: „Noch sehr viel. Wahrscheinlich die Hauptsache.“

„Anna hat kein Sexualleben“

So rätselhaft klingt der Film aus, der in seinen eineinhalb Stunden immer resignativer, pessimistischer wird, Freuds geistiger Entwicklung folgend („Ich habe mit meinen düsteren Theorien eine Vernunftehe geschlossen“, schrieb er 1930), freilich auch der doppelten Einschnürung von Freuds Leben, von innen durch den Krebs, von außen durch die NS-Barbarei. „Mit immer weniger Bedauern warte ich darauf, dass für mich der Vorhang fällt“, sagt er. Umso berührender wirken die raren freudigen Szenen, etwa mit Hunden, die Freud liebte, oder mit seiner Tochter Anna, deren Hingabe er trotz aller Sorge („Sie hat kein Sexualleben. Was wird sie ohne ihren Vater anfangen?“) schätzte.

Die Düsternis freilich wird durch die elegische post-romantische Cello-Klavier-Musik von Mathieu Lamboley verstärkt. Und durch die assoziative, teils gar symbolistische Bebilderung, die meist aus zeitgenössischen Filmaufnahmen besteht: Nackte im Bad illustrieren die „Abhandlungen zur Sexualtheorie“, Paddler in Wildwasser den Streit mit C. G. Jung, ein Straßenbahnunfall den Todestrieb. Dazu kommt Archivmaterial aus dem Freudschen Familienleben, Bilder vom Café de l'Europe, vom Semmering, aus Bad Ischl, vom Cobenzl, auch dort stehen sie für einen Abschied. Den Abschied einer illusionslosen Moses-Figur, der kein gelobtes Land beschieden war.

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