Heimo Scheuch

Im Mittelpunkt des Wohnens steht der Mensch

(C) Caio Kauffmann
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Ein Plädoyer des CEO der Wienerberger AG für das Grundrecht auf leistbares, gesundes und nachhaltiges Wohnen.

Wofür steht Wohnen?

Heimo Scheuch: Wohnen ist ein zentrales Grundbedürfnis, so wie Kleidung und Nahrung. Wohnen ist Sicherheit, Schutz vor dem Außen und persönlicher Rückzugsraum. Einen großen Teil unseres Lebens verbringen wir in unserer Wohnung. Eine Wohnung zu haben ist eine wesentliche Voraussetzung, um an der Gesellschaft teilzuhaben. In diesem Sinne sollte jeder Mensch ein Recht auf leistbares und gesundes Wohnen haben. Und ich stelle mit Verwunderung fest, dass Wohnen zwar in der EU, nicht aber in der österreichischen Verfassung als Grundrecht verankert ist. Das finde ich bedenklich und sollte schon rein als Symbolakt dringend geändert werden.

Hat sich Wohnen in Österreich und insbesondere in Wien in den letzten Jahrzehnten verändert?

Da würde ich gerne ausholen und das „gute, alte Wien“ ansprechen. Das Zinshaus in Wien war zum Beispiel ein Symbol für integriertes und integratives Wohnen – ein Thema, das uns auch heute beschäftigt. Damals haben vom Handwerker bis zum Gutbürgerlichen alle in einem Haus gewohnt. Der soziale Wohnungsbau hat in Wien eine große Tradition, die sowohl im europäischen als auch österreichischen Vergleich eine Sonderstellung einnimmt. Da wurde auch daran gedacht, Höfe, Parks und Grünräume zu errichten, die Familien ein zugleich leistbares und menschenwürdiges Wohnen ermöglicht haben. Und heute? Heute diskutiert man zwar über Integration, aber wir bewegen uns in Wahrheit in gefährliche Gefilde der Ghettoisierung. Die Integration funktioniert nicht, und das Problem beginnt beim Wohnraum, der dafür nicht geeignet ist. Das ist bedenklich und kein gutes Zeugnis für die Politik.

Worauf bezieht sich die Kritik konkret?

Wohnraum ist zu teuer, es ist zu wenig davon da und es fehlt die entsprechende Infrastruktur, um sinnvollen neuen Wohnraum zu schaffen. Die Menschen wohnen zu beengt, auf zu kleinem Raum. Das ist ein großes Problem, wie uns jetzt die Coronakrise massiv vor Augen geführt hat, als die Menschen ihre Wohnungen nur mehr zu bestimmten Anlässen verlassen durften und zu Hause auch arbeiten mussten. Da fehlt dann im wahrsten Sinne des Wortes der Platz zum Atmen. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Das führt zu Aggression und Gewalt. Ich vermisse massiv ein entsprechendes Reagieren der politisch und raumplanerisch Verantwortlichen. Anstatt leistbare und nachhaltige Räume zu schaffen, wird auf Verdichtung gesetzt und die Situation verschärft. Und es wird auch nicht auf die demografischen Veränderungen ausreichend reagiert, zu wenig für altersgerechtes und generationenverbindendes Wohnen getan. Mir fehlt einfach die Vision der Stadtplanung, die auf die aktuellen und mittelfristigen gesellschaftlichen Entwicklungen richtig reagiert und die ihre Zukunftspläne offenlegt.

Wie muss eine gute, langfristige Stadtplanung in Bezug auf Wohnraum aussehen?

Man muss sich in Wien fragen, wohin die Stadt wachsen soll, wie man Freiflächen schafft, damit Menschen sich körperlich, aber auch geistig bewegen und entfalten können. Das ist ja auch ein gesundheitspolitisches Anliegen. Neue Stadtviertel dürfen nicht zu eng verbaut sein. Es müssen Räume für Kommunikation geschaffen werden, die alte und junge Menschen zusammenbringen. Das trägt zum sozialen Frieden bei, der uns so am Herzen liegt. Man muss sich auf den verantwortlichen Ebenen klar dazu bekennen, dass die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend leistbarem und in allen Aspekten nachhaltigem Wohnraum zu den wichtigsten Herausforderungen zählt. Ich wünsche mir, dass in Ballungsräumen wie Wien viel mehr darüber nachgedacht wird, wie wir sukzessive Wohnraum ermöglichen, der all diesen Ansprüchen gerecht wird. Bei der Entwicklung von Stadtvierteln muss zunächst die Infrastruktur geschaffen werden, verkehrstechnisch und was Versorgung, Arbeit und Freizeit betrifft. Es braucht ausreichend Ruhezonen und Raum für Begegnung sowie kurze Wege zwischen Arbeit und Wohnen.

Was steht der Umsetzung dieser Ideen im Weg?

Es fehlt wie gesagt an politischem Willen und klarem Bekenntnis dazu, wie wichtig dieses Thema ist. Die soziale Dimension wird nicht genug mitgedacht, die Menschen werden in ihren Bedürfnissen nicht abgeholt. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Wenn man über das Wohnen nicht zu einem integrativen Miteinander beiträgt, dann werden soziale Konflikte geschürt, die auf Dauer zu einem großen Problem werden können.

Dass beim Wohnbau gesellschaftspolitische Aspekte gegenüber der Wettbewerbsfreiheit und dem kurzfristigen Profitdenken den Vorrang erhalten müssen, muss einfach klar sein. Da tragen Stadt und Staat meiner Ansicht nach die Verantwortung, beim Wohnen ebenso wie in den Belangen Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Möglichkeiten gibt es genug. Würde die Stadt Wien zum Beispiel mehr Grund und Boden zur Pacht zur Verfügung stellen, würde bereits ein wesentlicher urbaner Kostentreiber wegfallen. Dem Spekulieren mit Grund und Boden muss generell ein Riegel vorgeschoben werden. Modelle wie die Verpachtung wären eine Lösung, zumal ich den Gedanken von Besitz und Eigentum ohnehin für nicht mehr zeitgemäß halte. Die Klimakrise sollte uns auch zu verstehen geben, dass wir auf dieser Welt nur Gäste sind. Das hat etwas mit globaler Verantwortung zu tun.

Stichwort Ökologie: Wien gilt doch als eine der grünsten Städte Europas. Ist man hier nicht auf einem guten Weg?

Das sehe ich nicht ganz so rosig, auch hier gibt es noch sehr viel Luft nach oben. Anstatt weitere Grünflächen und Parks zu schaffen, wird eifrig Boden versiegelt. Das Wasser kann nicht versickern, und die Hitze in der Stadt steigt an. Was spricht denn zum Beispiel dagegen, jeden Tag 100 Bäume zu pflanzen und Straßenzüge zu Baumalleen zu verwandeln. Das hätte einen enormen Kühlungseffekt und würde der urbanen Lunge guttun.

Sie haben eine Vielzahl von Problemen angesprochen. Was kann ein Unternehmen wie die Wienerberger Gruppe dazu beitragen, diese Probleme zu lösen?

Wir sind als ein international führender Anbieter von Baustoff- und Infrastrukturlösungen jeden Tag damit befasst, die Zukunft des Bauens zu gestalten und damit die Wohn- und Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Das geschieht auf vielen Ebenen und mit nachhaltigen und innovativen Produkten. Beispiel Wassermanagement: Es geht darum, diese wertvolle Ressource auf Jahrzehnte hinaus zu schützen und intelligent zu nutzen. Wasser kühlt, muss richtig abfließen können und immer zur Verfügung stehen. Für all das haben wir technische Lösungen. Ein weiteres Beispiel ist das energetisch wertvolle Gebäude: Fassade, Dach und Mauerwerk müssen so gestaltet sein, dass sie möglichst wenig Energie benötigen und möglichst langlebig sind. Auch hierfür hat Wienerberger die richtigen technischen Lösungen. Ziegel regulieren nachweislich die Temperatur im Innenraum und sparen noch dazu Energie. Um dem heißen Klima im Sommer zu trotzen, eignen sich Ziegelwände besonders. Denn sie speichern nicht nur die Wärme und geben sie stark zeitverzögert wieder ab, sondern regulieren auch den Feuchtigkeitsaustausch innen und außen.

Wie wir uns eine umweltschonende Gebäudezukunft vorstellen, demonstrieren wir mit der Weiterentwicklung des „e4-Ziegelhauses“. Erneuerbare Energien sind dabei ein Kernelement des Konzepts. Mit vier Mal „e“ – energieeffizient, erneuerbare Energien, einzigartige Lebensqualität und erschwingliche Kosten – setzen wir Standards für die Zukunft des Wohnens.

In Sachen Baumaterial ist der Ziegel ja ein Ausnahmeprodukt. Wir verwandeln den natürlichen Rohstoff Ton in hochwertige Gebäudelösungen, die über Jahrhunderte hinweg ihren Zweck optimal erfüllen, maßgeblich zur Energieeffizienz eines Gebäudes beitragen und am Ende zu Recyclingmaterial verarbeitet werden können. Unsere Produkte sind generell extrem langlebig und deshalb über den gesamten Lebenszyklus betrachtet auch ökologisch und ökonomisch ausgezeichnete Lösungen im Sinne der Nachhaltigkeit.

Stichwort Ziegel. Wienerberger hat heuer seine neue Zentrale bezogen, „The Brick“. Steht dieses Gebäude symbolisch für die Ansprüche des Unternehmens an nachhaltigen Arbeits- und Lebensraum?

Natürlich. Dieses Gebäude hat enorme Qualitäten. Es ist ruhig, kühl, man kann die Fenster öffnen, der Energieverbrauch ist gering und es wird noch in mehr als 100 Jahren stehen. Es ist ein echter Raum der Zukunft, der auf Flexibilität setzt, um- und ausbaubar ist und mit wenig Aufwand für andere Nutzungen adaptiert werden kann. Und es liegt direkt an der Biotope City Wienerberg. Seit 2017 wird an diesem nachhaltigen Gartenstadtteil des 21. Jahrhunderts bereits gebaut und bis 2021 werden hier auch rund 950 Wohnungen entstehen.

Für mich ist der Neustart im The Brick ein weiterer logischer Schritt auf unserem Weg. Wir haben in nachhaltiger und effizienter Bauweise ein modernes Gebäude realisiert, das mit seiner einzigartigen Ziegelarchitektur zu einem Wahrzeichen im Süden von Wien wird. Vor 200 Jahren hat unsere Geschichte hier am Wienerberg begonnen – von hier aus haben wir die Stadt Wien mit unseren Baustoffen geprägt. Und ich freue mich sehr, dass wir auch jetzt Teil der Stadtentwicklung sind und die Zukunft von hier aus gestalten können.

Zur Person:

Heimo Scheuch, geboren 1966 in Villach, studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaften in Wien, Paris und London. 1993 promovierte er an der Universität Wien zum Doktor jur.

Seine Karriere bei Wienerberger startete er 1996 als Assistent des Vorstands. 2001 wurde er Mitglied des Vorstands der Wienerberger AG. Im August 2009 übernahm Heimo Scheuch den Vorstandsvorsitz. Seither verantwortet er die strategische und operative Entwicklung der Wienerberger Gruppe. Seine Bestellung läuft bis 1. April 2023.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2020)

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