Junge Forschung

Das Tumorprogramm ausschalten

Melanie Hassler-Di Fratta hat Biochemie und Medizin studiert, um Grundlagenwissen mit klinischer Erfahrung zu vereinen.
Melanie Hassler-Di Fratta hat Biochemie und Medizin studiert, um Grundlagenwissen mit klinischer Erfahrung zu vereinen.Ákos Burg
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Die Biochemikerin und Medizinerin Melanie Hassler Di-Fratta erforscht an der Medizinischen Universität Wien die epigenetischen Mechanismen von Blasenkrebs.

Junge Menschen, die rauchen, denken selten daran, wie sehr das ihr molekularbiologisches Fundament schwächt und dass sie sich deswegen vielleicht 20 bis 30 Jahre später unzähligen Operationen unterziehen müssen“, sagt Melanie Hassler-Di Fratta. „Man weiß aber heute, dass 90 Prozent aller Tumorarten durch Umweltfaktoren und nur zehn Prozent genetisch bedingt sind.“ An der Universitätsklinik für Urologie der Med-Uni Wien erforscht sie eine davon: den Blasenkrebs. Hier sind aggressive Verläufe bei Rauchern nicht selten.

„Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie wichtig ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und viel Bewegung für die Prävention vieler Krankheiten ist“, findet sie. In einem aktuellen, von der EAU-RF (European Association of Urology Research Foundation) geförderten Projekt beschäftigt sich die 36-Jährige mit den molekularen Mechanismen, die an der Entstehung von besonders bösartigen Blasenkarzinomen beteiligt sind.

Einflüsse auf die Erbinformation

„In jedem Organ oder Gewebe wird die Aktivität der Zellen durch ein eigenes epigenetisches Programm gesteuert“, erklärt die Forscherin. In der Epigenetik geht es nicht um die in der DNA-Sequenz hinterlegte Erbinformation, die ja in jeder Körperzelle gleich ist, sondern um die Abläufe, die das Ein- und Ausschalten der verschiedenen DNA-Abschnitte regulieren. Durch sie entwickeln sich zum Beispiel Zellen unterschiedlich, etwa zu Haut- oder Leberzellen. Und äußere Bedingungen können sie beeinflussen. „Das fällt auch bei vielen Krebserkrankungen ins Gewicht.“ Hier führen dann nicht nur Genmutationen, sondern auch Lebensumstände zu einer fehlerhaften Programmierung. „Es wird allerdings nicht in jedem Tumor aus demselben Gewebe dasselbe Programm aktiviert. Außerdem bewirken nur manche Programme, dass er bösartig wird und sich im Körper ausbreitet.“ Hassler-Di Fratta möchte verstehen, warum und wie sich epigenetische Prozesse auf die Blasentumore auswirken. „Um gezielt auf diese Mechanismen einwirken zu können, muss man genau wissen, wie sie funktionieren.“

Gängige Chemotherapien würden „Wachstumsprogramme“ in den Zellen blockieren, veranschaulicht sie. „Solche gibt es aber nicht nur in Tumorzellen, sondern auch in anderen wie etwa Haar-, Darm- oder Immunzellen. Darum sind diese stark von Nebenwirkungen betroffen.“ Nun suche man nach Therapien, die zwar das spezielle Programm des Tumors angreifen, aber das restliche Gewebe verschonen. „Nach neuesten Erkenntnissen spielen bei den von uns erforschten aggressiven Tumortypen bis zu sechs unterschiedliche Arten von Programmen eine Rolle.“ Welches davon individuell ablaufe, dürfte die Ausbreitung der Krebszellen im Körper eines Menschen und seine Reaktion auf die Chemotherapie beeinflussen. „Mit unseren molekularen Analysemethoden bestimmen wir das Hauptprogramm von Patienten und sehen uns an, wie es mit dem Ansprechen auf die Chemotherapie zusammenhängt.“

Im Labor und im Spital

Die Klagenfurterin hat an der Uni Wien Chemie mit Schwerpunkt Biochemie und Molekularbiologie studiert und 2014 sub auspiciis praesidentis ein PhD-Studium am Klinischen Institut für Pathologie an der Wiener Med-Uni abgeschlossen. „Mich hat längere Zeit die Frage beschäftigt, ob ich nur in der Forschung oder auch im Spital arbeiten wollte“, erinnert sich Hassler-Di Fratta. „Eigentlich wollte ich auch außerhalb des Labors etwas für Menschen tun.“ Den Ausschlag gab die Gelegenheit, während des PhD-Studiums an der Abteilung für Urologie in einem Prostatakrebs-Projekt mitzuarbeiten. „Ein glücklicher Zufall.“ Er bewog sie, zusätzlich ein Medizinstudium zu absolvieren. Seit 2017 ist sie Assistenzärztin an der Universitätsklinik für Urologie und forscht im Bereich der Uro-Onkologie.

Privat liebt die sportliche Wissenschaftlerin, die bald ihr erstes Kind erwartet, italienisches Essen. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem neapolitanischen Mathematiker, bewirtet sie gern Familie und Freunde. „Dann genießen wir das Urlaubsfeeling, das die mediterranen Gerichte verströmen.“

Zur Person

Melanie Hassler-Di Fratta (36) hat an der Uni Wien Chemie studiert. Am Klinischen Institut für Pathologie der Wiener Med-Uni schloss sie 2014 sub auspiciis praesidentis ein PhD-Studium in medizinischer Wissenschaft ab. Parallel studierte sie Medizin. Sie ist seit 2017 Assistenzärztin an der Med-Uni Wien. Aktuell erforscht sie die epigenetischen Hintergründe von Blasenkrebs.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2020)

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