Besuch am Freitag

Wie die Schweiz Bundeskanzler Kurz empfängt

Kanzler Kurz im Jänner 2020 in Davos.
Kanzler Kurz im Jänner 2020 in Davos.(c) APA
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Die steile Karriere des 34-Jährigen sorgte im Nachbarland für Aufsehen, erklärt ein Meinungsforscher. Die Corona-Krise ist das wichtigste Thema der Visite.

Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag und Samstag die Schweiz besucht, dann eilt ihm der Ruf voraus, ein "Politiker der Next Generation" zu sein. Das erklärte der renommierte Schweizer Politologe Claude Longchamp im Vorfeld des Trips im APA-Interview. Doch werde seine Politik oft auch als ambivalent angesehen und gefragt, ob diese noch als „christdemokratisch" zu bewerten sei.

Zwar sei Kurz im Nachbarland kein dominantes Thema, doch habe
seine steile Karriere in jungen Jahren doch auch für Aufsehen
gesorgt, meinte der bekannte Meinungsforscher und frühere Leiter des
Instituts "gfs Bern" (Gesellschaft für Sozialforschung). „Man hat es
zweifelsfrei so wahrgenommen, dass er auf spektakuläre Art und Weise
die ÖVP übernommen und die Wahlen gewonnen hat. Das war auch ein
Thema hier", analysierte Longchamp.

In der Schweiz werde bemerkt, dass der 34-jährige Bundeskanzler
europapolitisch die „Next Generation" vertrete, die „den Fall der
Berliner Mauer" nicht mehr bewusst miterlebt habe, so der Doyen der
Schweizer Politik- und Meinungsforschung gegenüber der Austria
Presse Agentur. „Und man hat gesehen, dass er sich relativ schnell
zu einem moderaten Kritiker von Frau Merkel entwickelt hat."

Allerdings habe die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
in der Eidgenossenschaft „die viel höheren Sympathiewerte", merkte
Longchamp an. „Frau Merkel gilt hier als ein zuverlässiger Garant in
der Zusammenarbeit mit Europa." Daher werde schon mit Ambivalenz
verfolgt, dass Kurz sich beispielsweise nicht eindeutig von Ungarns
nationalkonservativem Premier Viktor Orban abgrenze. „Orban gilt
eigentlich nicht wirklich als vertrauenswürdiger Politiker - mit
Ausnahme einmal in rechtsnationalen Kreisen - in der Schweiz."

„Ist das noch christdemokratisch?"

Unterschiedlich sei auch die Rezeption der von Kurz verfolgten
Politik in der Migrations- und Flüchtlingsfrage. "Ich denke, das ist
bei ihm auch ein kritischer Punkt. Manchmal höre ich die Frage: 'Ist
denn das überhaupt noch Christdemokratie? Ist das noch eine
christdemokratische Volkspartei?'". Andererseits gebe es gerade bei
diesen Themen auch großes Verständnis. "Die Schweizer sind ja froh,
dass die Flüchtlinge nicht in die Schweiz kommen. Bei der
Flüchtlingsfrage ist es so, dass viele - wenn auch nicht immer
öffentlich - finden, er hat das Richtige gemacht. Und er lässt sich
nicht vorführen, weder von der EU noch von der Türkei." Auch das
komme bei vielen Schweizern gut an.

Mitunter werde aber auch die Frage gestellt, ob Kurz "nicht
einfach der pure Wille zur Macht" antreibe, ergänzte der Politologe.
Auch die Art und Weise, wie er in Österreich die Volkspartei
übernommen und zur "neuen ÖVP" umgestaltet habe, sei in Politiker-
und Medienkreisen der Schweiz eher auf Verwunderung gestoßen. "Das
Modell, das er in Österreich erfolgreich praktiziert hat - eine
Partei mehr oder weniger zu überrumpeln, für sich zu pachten und
dann die Wahlen zu gewinnen: Niemand glaubt, dass das in der Schweiz
möglich ist."

In Bern habe man den Eindruck gehabt, dass dieser Prozess in Wien
in "einigen Wochen" über die Bühne gegangen sei. Bei der
"Christlichdemokratischen Volkspartei der Schweiz" (CVP) sei so ein
Umsturz undenkbar, seien sich Politiker und Beobachter einig
gewesen. Parteipräsident Gerhard Pfister habe etwa Folgendes gesagt:
"So ein Prozess würde in der CVP bis 2025 gehen."

Zudem sei es für die Schweizer Innenpolitik schwer
nachvollziehbar, "wie locker Kurz die Regierungszusammensetzung
gewechselt hat". Der Wechsel von der FPÖ zu den Grünen habe
vielerorts schon für Verwunderung gesorgt. "Wir Schweizer sind es ja
gewohnt, dass man pragmatisch ist und mit vielen zusammenarbeiten
will." Aber die SVP und die Grünen, das passe in der Schweiz "gar
nicht" zusammen.

Die rechtspopulistische SVP (Schweizerische Volkspartei) habe ja
auch die sogenannte Begrenzungsinitiative lanciert, mit der die
Personenfreizügigkeit mit der EU aufgekündigt werden soll, erinnerte
Longchamp. Interessant sei, dass ausgerechnet deren Partner, nämlich
die "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS)", mit
Sebastian Kurz vor der Volksabstimmung vom 27. September in ihrer
Anti-EU-Kampagne Stimmung mache. Auf Plakaten ist sein Konterfei zu
sehen. Darunter wird der ÖVP-Politiker mit einem Auszug aus einem
Zeitungsinterview zitiert: "Die Schweiz ist unter den Top-Staaten,
auch weil sie nicht an EU-Regeln gebunden und finanzstark ist."

Positiver Eindruck in der Corona-Krise

Einen positiven Eindruck hätten die Schweizer freilich bezüglich
des Managements der türkis-grünen Regierung in der Coronvirus-Krise
gewonnen, resümierte der Meinungsforscher. Allerdings seien die
Bilder vom Besuch des Bundeskanzlers im Kleinwalsertal im Mai
inmitten einer Menschenmenge mit Skepsis aufgenommen worden. Dort
habe Kurz für viele doch folgenden Eindruck vermittelt: "So, jetzt
ist es fertig. Jetzt können wir wieder." Longchamp: "Das hat man
gesehen und nicht verstanden."

Die Covid-19-Pandemie wird auch ein Hauptthema sein, wenn Kurz am
heutigen Freitag im Rahmen eines bilateralen Besuchs mit
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und weiteren Mitgliedern des
Bundesrats (Schweizer Kollegialregierung) auf dem Landgut Lohn bei
Bern zusammenkommen wird. Am Samstag will sich Kurz in der Schweiz
auch bei CEOs von führenden Pharmakonzernen über den Stand der
Forschung bei Anti-Corona-Medikamenten und -Impfstoffen informieren. 

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