Anders als ihre Kollegen hierzulande liefen honorige deutsche Verfassungsjuristen gegen die Corona-Maßnahmen Sturm. Welche ethische Basis steckt hinter ihrer Kritik? Und sieht es im Herbst anders aus als im Frühling?
Sie tragen keine Alu-Hüte, glauben nicht an Verschwörungstheorien und sind sicher keine Reichsbürger. Es waren hoch angesehene Verfassungsjuristen und Rechtsphilosophen, die in Deutschland als Erste die Aussetzung von Freiheitsrechten durch die Corona-Maßnahmen kritisierten – lang vor den Demonstrationen im Sommer, gleich nach Verhängung des Lockdowns.
Wie groß ihr Unbehagen war, zeigte sich an Schlagworten, die so gar nicht einem wohl abgewogenen Urteil aus Karlsruhe glichen: ein „sich preisgegebener Rechtsstaat“ (Hans-Jürgen Papier), ein „Zustand der Unwürdigkeit“ (Uwe Volkmann) oder eine „Hygienediktatur“, in der die Exekutive „den juristischen Verstand verloren“ habe (Oliver Lepsius). Warum fiel der Widerstand deutscher Staatsrechtler um so viel stärker aus als der ihrer österreichischen Kollegen, trotz eines ähnlichen Rechtssystems? Die Frage ist hoch aktuell: Die Einschränkungen werden wieder laufend verschärft, obwohl sich die Zahl der Todesfälle weit weniger dramatisch entwickelt hat als anfangs befürchtet.