Mit der Spitzhacke gegen Bits und Bytes

Die Angst vor Googles „Street View“ ist stark übertrieben. Neue Gefahren bringt neue Technik aber immer mit sich.

Er steht symbolhaft für die Meinung vieler Menschen über den Onlinedienst „Street View“ des Internetkonzerns Google: jener 70-jährige Oberösterreicher, der im April ein Kameraauto von Google aus seiner Heimatgemeinde Steyregg mit einer Spitzhacke in der Hand vertrieb. „Ich will das nicht. Ich brauche das nicht“, lautete der Tenor des Mannes und jener, die ihn als Helden feierten.

Was wollte er nicht? Dass Google den Straßenzug, in dem sein Haus steht, fotografiert und ins Internet stellt. Dann könnte jeder Internetnutzer weltweit virtuell durch Steyregg spazieren – so, wie es bereits in Städten in den USA, Australien, Frankreich oder demnächst in Deutschland möglich ist. Hierzulande ist die Einführung von „Street View“ aufgrund der unerlaubten Aufzeichnung von Daten aus privaten Funknetzen (WLAN) zurzeit noch in einer Zwangspause.

Anders als der Pensionist wollen weltweit jedoch tausende Menschen „Street View“ nutzen. Warum? Weil es ein hilfreiches Werkzeug für Touristen ist, die sich etwa die Umgebung ihres Hotels in einer fremden Stadt ansehen wollen. Oder für Wohnungssuchende, die ihr potenzielles neues Wohnhaus betrachten wollen. Oder für Leute, die einmal virtuell über den Broadway spazieren möchten.

Kritiker wenden ein, dass nun auch Kriminellen die Planung von Einbrüchen erleichtert werde. Diese fanden jedoch auch vor der Einführung von „Street View“ genügend Wege, ihre Zielobjekte auszuspionieren. Bleibt also noch das Argument des Datenschutzes – etwa, dass Männer beim Verlassen eines Sexshops fotografiert werden. Dies ist inzwischen jedoch gelöst, indem Gesichter und Autokennzeichen automatisch unkenntlich gemacht werden.

Heißt das nun also, dass man Google und Co. blind vertrauen kann? Nein. So waren bei der Einführung von „Street View“ in den USA vor ein paar Jahren noch sämtliche Gesichter klar erkennbar. Erst der öffentliche Druck brachte den Konzern dazu, das zu ändern. Dass dieses anfängliche Unterlassen weniger auf Bösartigkeit als auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen sein dürfte, machte für die Betroffenen keinen Unterschied.

Und auch heute ist der Umgang von Google mit fremden Daten mehr als salopp, wie die WLAN-Datenaufzeichnung zeigt. Mit diesen Daten kann man aller Wahrscheinlichkeit nach zwar kaum etwas anfangen, dennoch bleibt ein fahler Beigeschmack. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Sammeln von Daten und deren kommerzielle Verwertung das Geschäftsmodell von Google darstellen. Und diese Daten können im – vorgeblich anonymen – Internet meist auch den realen Benutzern zugeordnet werden.

Diese Kritik bleibt aber nicht auf Google beschränkt. Auch Facebook überraschte seine Nutzer durch eine Änderung der Einstellungen, wodurch Fotos plötzlich für jedermann sichtbar wurden. Zudem sahen neue Nutzungsbedingungen vor, dass das Unternehmen die Daten der Nutzer für alle Zeiten kommerziell verwenden darf. Diese Vorstöße wurden erst nach großen Protesten wieder zurückgenommen.

Soll man die neuen Internetdienste daher verteufeln? Nein. Neue Technik bringt neuen Nutzen, aber auch neue Gefahren. Und solange der Nutzen die Gefahren überwiegt, ist es ein Fortschritt. So brachte etwa das Auto Verkehrstote, Lärm und Umweltverschmutzung mit sich. Dennoch würde kaum jemand die Zeit vor die Erfindung des Autos zurückdrehen wollen.

Heutzutage lauern die Gefahren im Missbrauch von Daten und dem Monopol von Information. Daher ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft den Unternehmen auf die Finger schaut und der Gesetzgeber – der meist Jahre hinterherhinkt – für entsprechende Regelungen sorgt. Vor allem, da es Projekte gibt, bei denen die Gefahren von „Street View“ geradezu lächerlich anmuten. So arbeitet die Google-Tochter „23andme“ am Aufbau einer Datenbank über den menschlichen Genpool. Die Daten stammen von Personen, die eine Genanalyse bestellen. Das Projekt könnte ein Meilenstein der medizinischen Forschung werden. Es könnte aber auch zum sprichwörtlichen gläsernen Menschen führen.

Ein entscheidender Faktor ist dabei wieder einmal der Umgang des Einzelnen mit seinen Daten. Er ist im Netz vielfach immer noch viel zu sorglos. So würde kaum jemand auf der Straße wildfremden Menschen sein Tagebuch oder die Fotoalben vom jüngsten Urlaub in die Hand drücken. Im Internet jedoch geschieht das jeden Tag– tausendfach.

„Street View“-Einführung in Deutschland Seite 5

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2010)

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