Der ökonomische Blick

Die negativen Langzeit­effekte von Firmen­konkursen

Die Presse (clemens Fabry)
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Jeden Montag präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Rudolf Winter-Ebmer über die massiven Auswirkungen von unfreiwilligen Entlassungen.

Langzeiteffekte von unfreiwilligen Entlassungen sind sehr hoch: Davon Betroffene haben bis zu 10 Jahre lang geringere Löhne, sowie wesentlich geringere Beschäftigungswahrscheinlichkeiten. Darüber hinaus gibt es negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit; Frauen reduzieren auch ihre Fertilität.

Covid-19 hat zu einer starken Erhöhung der Arbeitslosigkeit geführt. Nach nationaler Definition sind im August ca. 420.000 Personen arbeitslos oder auf AMS-Schulung. Aufgrund umfassender Kurzarbeit und diversen Unternehmenshilfen ist es bisher noch zu keiner echten Konkurswelle gekommen; eine solche wird aber unvermeidlich sein, weil – neben den Umsatzausfällen vieler Firmen – Covid-19 auch zu einer Umstrukturierung der Wirtschaft führen wird.

Welche Konsequenzen können Beschäftigte nach einem Konkurs erwarten? Ein naives, simples Arbeitsmarktmodell würde vorhersagen, dass Arbeitskräfte, die vorher einen marktkonformen Job und ebensolchen Lohn gehabt hatten, nach einer Entlassung wieder leicht eine ähnliche Beschäftigung finden sollten. Realistischere Modelle verweisen aber auf firmenspezifische oder Kundenkenntnisse, Erfahrungswerte oder eine bestimmte Passgenauigkeit mit der Firma, die bei einem Jobverlust zu deutlichen Verlusten für die Beschäftigten führen können.

Der ökonomische Blick

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Langfristeffekte von Covid-19-Konkursen können noch nicht ermittelt werden, es gibt aber eine große ökonomische Literatur zu den Effekten vergangener Konkurse. Für die Wissenschaft sind Firmenkonkurse nahezu ideale „Experimente“ um Effekte von zufälliger Arbeitslosigkeit untersuchen zu können. Für die Forschung hat ein Konkurs den „Vorteil“, dass er alle Beschäftigte einer Firma gleichermaßen trifft. Allgemeine Zugänge ins Arbeitslosenregister beinhalten auch Personen, die freiwillig den Job aufgegeben haben, sowie Personen, die aufgrund von geringerer Leistung den Job verloren haben. Für solche Gruppen von Arbeitslosen würde man andere Verläufe in der Zukunft erwarten. Darüber hinaus werden typischerweise statistische Matching-Verfahren verwendet, die im Sinne von statistischen Zwillingen, Beschäftigte von Firmenkonkursen mit exakt gleichen Personen ohne Konkurs vergleichen.

Langzeitstudien, bei denen alle österreichischen Konkurse Anfang der 2000er Jahre verwendet wurden, zeigen, dass Österreicher und Österreicherinnen zwischen 35 und 50, die in der Vergangenheit von einer Firmenschließung betroffen waren, starke Nachteile in Kauf nehmen mussten, die bis zu 10 Jahre andauerten. In den ersten fünf Jahren nach dem Konkurs sinkt die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Angestellten um bis zu 20 Prozentpunkte, in den folgenden fünf Jahren immer noch um 10 Prozentpunkte. Arbeiter sind weniger stark betroffen: deren Beschäftigung sinkt um ca. 15 Prozentpunkte zu Beginn, später hinkt die Beschäftigung immer noch um 4 Prozentpunkte hinter vergleichbaren Personen ohne Konkurs hinterdrein. Arbeitslose Konkursopfer, die eine Beschäftigung gefunden haben, müssen im Durchschnitt eine Lohneinbuße von 5 Prozent hinnehmen.

Interessant ist auch, dass es eine starke Konzentration dieser Kosten des Konkurses auf wenige Betroffene gibt: Wenn man Personen außer Acht lässt, die in Pension oder Frühpension gehen, haben 55 Prozent der Konkursopfer nahezu keine Probleme, rasch wieder vollständigen Anschluss ans Erwerbsleben zu finden, während 26 Prozent der Betroffenen den Großteil der gesamten Arbeitslosigkeitsmonate in Kauf nehmen müssen. Für diese Schlussfolgerung wird die Aufteilung der gesamten, durch Konkurse entstandenen Arbeitslosigkeitsmonate unter den betroffenen Ex-Beschäftigten untersucht.

Sterblichkeit steigt an, Fertilität sinkt

Neben langandauernder Arbeitslosigkeit bedeutet ein Firmenkonkurs aber auch schlechtere Gesundheit und Auswirkungen auf das Familienleben. Studien für Skandinavien zeigen, dass bei Konkursopfern die Sterblichkeit ansteigt; sie begehen häufiger Selbstmord, sterben aber auch häufiger an Herz- und Kreislauferkrankungen. In Österreich gibt es keine Hinweise auf höhere Sterblichkeit, aber der Konsum von Psychopharmaka nimmt stark zu. Studien für Österreich zeigen, dass infolge eines Firmenkonkurses Frauen weniger Kinder bekommen: In 10 Jahren nach einem Konkurs sinkt die Geburtenrate um 5-10 Prozent. Interessanterweise zeigt sich dieser Geburtenrückgang nur bei Frauen, die bessere Positionen im Angestelltenverhältnis mit einer Karriereperspektive haben bzw. hatten (also Jobs mit hohem zu erwartenden Lohnwachstum): ein Entfall dieser Karriere zwingt diese Frauen auch zu einem Verzicht auf den Kinderwunsch.

Unerwartete Arbeitslosigkeit bzw. der Verlust einer Karriereperspektive kann Menschen erheblich aus der Bahn werfen. Diese negativen Effekte auf die Arbeitslosigkeit sind in Österreich sehr groß, größer als in vergleichbaren Ländern und vor allem sehr langfristiger Natur. Warum sind diese Probleme in Österreich so hoch? Gründe dafür könnten in einer größeren Inflexibilität des Arbeitsmarktes oder einer zu geringen Unterstützung von Langzeit- bzw. wiederholt Arbeitslosen liegen. Österreich war sehr lange Vorreiter in Europa mit einer sehr geringen Arbeitslosigkeit und muss noch zusätzliche Strukturen aufbauen, um diesen Arbeitnehmern effektiv zu helfen.

Diese Studien beziehen sich auf ruhigere Zeiten. Jetzt in der Covid-19 Epidemie könnten diese Effekte größer sein, weil die Arbeitsnachfrage generell stark eingebrochen ist, sie könnten aber auch langfristig etwas geringer sein, weil in einer allgemeinen, großen Wirtschaftskrise die Stigmatisierung von Arbeitslosen schwächer ausgeprägt sein wird: jeder kann das Pech haben, dabei zu sein.

Der Autor

Rudolf Winter-Ebmer ist Arbeitsmarktökonom, Vorstand am Institut für Volkswirtschaft der Johannes Kepler Universität in Linz und Konsulent am IHS, Wien.

Rudolf Winter-Ebmer
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