Google Street View: "Orwell ist ein Kinkerlitzchen dagegen"

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In Deutschland ist die Skepsis gegen das Google-Projekt Street View und die Angst um die Privatsphäre groß. Der Innenminister will die Umsetzung argwöhnisch überwachen.

Berlin. „Mein erster Gedanke war: Orwell ist ein Kinkerlitzchen gegen all das, was jetzt passiert. Street View ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zur totalen Überwachung.“ Marita und ihr Mann, ein älteres Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen, derzeit auf Live-Erkundungstour durch Berlin, halten von den Plänen des US-Internetkonzerns Google, noch heuer in Deutschland den dreidimensionalen Kartendienst Street View zu starten, „gar nichts. Wir möchten nicht, dass unser Haus oder gar wir abgebildet werden. Wir haben nicht darum gebeten und sehen keinen tieferen Sinn darin.“ Sie werden daher Einspruch einlegen.

Die Möglichkeit, binnen vier Wochen im Vorhinein eine Sperrung zu erreichen, besteht nur in Deutschland, wo die Bedenken – im Vergleich zu den 23 Ländern, in denen Street View bereits im Einsatz ist – offensichtlich besonders groß sind. Kommenden Montag wird eine Website freigeschaltet, auf der Hauseigentümer oder -bewohner verlangen können, dass ihre Immobilie „vernebelt“ wird. Auch brieflich können Einsprüche eingereicht werden. Kfz-Kennzeichen und Gesichter sollen automatisch unkenntlich gemacht werden.

Angst um die Privatsphäre

Zunächst werden in Deutschland, voraussichtlich im November, 20 große Städte online gehen, darunter etwa Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, Köln, Stuttgart, Leipzig, Dresden. Die Aufnahmen sind in den vergangenen zwei Jahren entstanden – Google-Autos fuhren mit Kameras auf dem Dach durch die Straßen, die Aufnahmen aus einer Höhe von etwa drei Metern werden zu 360-Grad-Ansichten zusammengefügt. Die geplante Veröffentlichung hatte prompt Datenschützer und das Verbraucherschutzministerium auf den Plan gerufen, zumal Google 2008 nicht nur Fotos machte, sondern „aus Versehen“ auch Daten aus drahtlosen Netzwerken mitschnitt.

Der zuständige Datenschutzbeauftragte aus Hamburg, Johannes Caspar, vereinbarte mit Google einen 13-Punkte-Katalog zum Datenschutz, der unter anderem auch die Vorabsperrung beinhaltet. Dennoch bezeichnet Caspar jetzt die angekündigte Einführung von Street View als überstürzt. Die Widerspruchsfrist sei zu kurz, liege ungünstigerweise in der Ferienzeit, und Google habe den Umgang mit den Angaben der Widersprechenden bisher nicht offengelegt. Sorgfalt müsse vor Schnelligkeit gehen.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) reagiert verhalten: „Wir müssen sehr sorgfältig darauf achten, wann aus etwas Normalem – der Blick auf eine Häuserfassade mit Klingelschildern und Briefkästen – ein weltweit möglicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen werden kann.“ Auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) will Google bei der Veröffentlichung der Fotos und beim Umgang mit den Widersprüchen genau auf die Finger schauen und abwarten, „ob sich das Verfahren in der Praxis bewährt“. Ihr Haus hatte bereits Ende Mai eine fünfstellige Zahl von Bürgern registriert, die sich gegen die Abbildung ihrer Häuser oder Wohnungen im Internet zur Wehr setzen wollen.

Erleichterung bei Urlaubsplanung

Zu diesem Schritt riet am Mittwoch auch der Eigentümerverband „Haus & Grund Deutschland“. „Die Google-Kamera hat die Bilder in einer Höhe geschossen, die deutlich über der Augenhöhe eines Normalbürgers liegt“, so Verbandspräsident Rolf Kornemann, „Hecken und Zäune, die als Sichtschutz gedacht sind, wurden so umgangen.“

Google verweist unterdessen auf die Nützlichkeit von Street View, etwa für die Urlaubsplanung. Schon jetzt nützen über eine Million Deutsche Street-View-Panoramen aus anderen Ländern.

AUF EINEN BLICK

In 23 Ländern ist Street View bereits online, bis Jahresende kommt Deutschland hinzu, vorerst mit 20 großen Städten. In den nächsten vier Wochen können Hauseigentümer und -bewohner beantragen, dass ihre Immobilie vorab unkenntlich gemacht wird. Das Projekt ist in Deutschland sehr umstritten, die Angst um die Privatsphäre groß. Innenminister de Maizière und Verbraucherschutzministerin Aigner wollen die Umsetzung argwöhnisch überwachen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2010)

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