Kolumne zum Tag

Separatfrieden mit Karfiol

Wer in den 80er-Jahren Kind in Österreich war, kennt diesen Odem der Verderbnis, diese verkommene Schwester von Prousts Madeleine.

Ich kann gottlob nicht behaupten, eine besonders traumatische Jugend erlebt zu haben. Doch eine Erinnerung an Kindergarten und Volksschule weckt noch heute sprachloses Grauen: der Geruch von gedünstetem Karfiol in der Schulkantine. Wer in den 80er-Jahren Kind in Österreich war, kennt diesen Odem der Verderbnis, diese verkommene Schwester von Prousts Madeleine: muffig, dumpf, jenen Ausdünstungen nahe, die – verzeihen Sie mir diese koprologische Unmittelbarkeit – eigentlich erst am Ende der Reise des Karfiols durch den menschlichen Organismus entweichen.

Sonder Zahl sind die kulinarischen und pädagogischen Verbrechen, welche damals in Schulkantinen verübt wurden: von den lieblos zu Tode gekochten Erbsen und Babykarotten bis zum Erdäpfelpurée in Fertigzubereitung, ein ekelhafter Schleim. Alles wurde damals bis zur Ungenießbarkeit gedünstet, auch Kohlsprossen, die wohl aus diesem Grund fast jeder meiner gleichaltrigen Freunde und Bekannten verabscheut. Und was man der Fisole antat, dieser prachtvollen Leguminose, hätte eigentlich einen Sonderstrafgerichtshof der Vereinten Nationen verdient...

Doch wie Martin Luther King Jr. so richtig festhielt: „Der Bogen des moralischen Universums ist lang, aber er neigt sich der Gerechtigkeit zu.“ Ausgerechnet in den Vereinigten Staaten, deren kulinarische Kultur ansonsten nicht dafür bekannt ist, Gaumenfreuden zu provozieren, machte ich meinen Separatfrieden mit Karfiol, Brokkoli und Kohlsprossen. Und wie, fragen Sie? Ganz einfach: rösten statt dünsten. Gemüse putzen, trimmen (also das Holzige wegschneiden), in einer Schüssel mit Olivenöl, Salz und Gewürzen nach Geschmack (nur Mut: zerriebene getrocknete Chilischoten oder gehackter Knofel!) mischen, in einer feuerfesten Schüssel in den Ofen, 180 Grad, 20 Minuten (oder, je nach Größe und Konsistenz der Stücke, etwas mehr), fertig ist die Beilage. Auch die Kleinen mögen das (mit ohne scharf, natürlich): mir ist namentlich ein Vorschulkind bekannt, das regelmäßig die Fisolen und den Brokkoli vor dem Fleisch verputzt – und Nachschub verlangt.

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