Film

Begnadigung nach der Werbepause

Yalda
YaldaJulian Atanassov/JBP Production
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Eine zum Tod Verurteilte soll in einer Fernsehshow um Vergebung betteln: Das spannende Studio-Kammerspiel „Yalda“ ist von einer echten iranischen Talkshow inspiriert. Ab Freitag im Kino.

Verdient Maryam Komijani die Vergebung? Senden Sie jetzt Ihre SMS an . . .“ Es ist Schab-e Yaldā in Teheran, das Fest der Wintersonnenwende. Auf der Studiobühne stapeln sich Blumenbouquets und Granatäpfel. Im ganzen Land erinnern sich die Menschen heute daran, dass das Leben kurz ist – und man es daher mit Barmherzigkeit und Liebe füllen soll. Es ist eine gute Zeit, um zu vergeben. Die Produzenten von „Freude der Vergebung“ wissen das sehr gut. Sie haben für das Finale schon ein fröhliches Kunstschneegestöber vorbereitet. Doch ihr heutiger „Gast“ bringt sie aus dem Konzept. „Was machst du da?“, fragt der Moderator die 23-jährige Maryam während der Werbepause. Will sie etwa sterben?

Es ist ein groteskes TV-Konzept, das im Zentrum von Massoud Bakhshis Film „Yalda“ steht: In einer Talkshow, die die Sensationslust und künstliche Dramatik von Reality-Liveshows auf die Spitze treibt, bekommt eine wegen Mordes zum Tod Verurteilte die Chance auf Gnade. Die damals schwangere Maryam (Sadaf Asgari) hat ihren um über 40 Jahre älteren Ehemann auf Zeit bei einem Streit gestoßen und die Flucht ergriffen; wenig später starb er an seinen Verletzungen. Verzichtet die Tochter des Opfers vor laufender Kamera auf ihr Recht auf Vergeltung, wird die Hinrichtung abgesagt. Der Opferfamilie steht dafür ein „Blutgeld“ zu. Ob Sponsoren dafür aufkommen, entscheiden die Fernsehzuschauer mit ihrem Voting.

Das Prinzip basiert auf geltendem islamischen Recht, die Idee zur Fernsehshow gab Regisseur Bakhshi die iranische Sendung „Mahe Asal“, die bis 2018 immer im Ramadan ausgestrahlt wurde und in der auch Spenden für das Blutgeld von Todeskandidaten gesammelt wurden. Bakhshi konstruierte aus diesem Stoff ein spannendes Kammerspiel (produziert in Europa, gedreht tatsächlich in Teheran), das atmosphärisch zwischen Gerichtsthriller und TV-Backstage-Drama oszilliert.

Ein Stargast liest ein Hafes-Gedicht

Er spielt darin raffiniert mit Nähe und Distanz, mit Authentizität und Inszenierung. Er lässt den Zuschauer mittels wackliger Handkamera mit auf die Studiobühne schleichen, lässt Konversationen unhörbar hinter Glaswänden stattfinden, erzählt manches durch eine reißerische Reportage, die über die Bildschirme im Regieraum flimmert. So entspinnt sich eine Geschichte voller Wendungen, die nicht nur von Schuld und Vergeltung erzählt, sondern von Klassenklüften und Ausbeutung, von Gier und Neid, von unterschiedlichen Mutterrollen und familiären Fassaden, die zusammenbrechen.

Maryam, die so unschuldig wirkt mit ihren großen Augen, soll Reue zeigen und um ihr Leben flehen. Doch sie widersetzt sich dem Sendungsschema. Ihre emotionalen Ausbrüche konterkarieren die kunstvollen Floskeln, die die anderen Studiogäste perfektioniert haben. Die typisch iranische Höflichkeit lässt immer wieder schmunzeln – für humorvolle Auflockerung sorgt auch der kauzige alte Kerl, der durchs Gebäude schlurft, um allen Tee anzubieten. Und letztlich die Konsequenz, mit der Bakhshi hier einen zynischen Fernsehbetrieb karikiert: Ein Stargast trägt zwischendurch ein Hafes-Gedicht vor – und dann gibt es Preise für das Publikum: Ob Maryam begnadigt wird oder nicht, erfährt es nach der Verlosung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2020)

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