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Sherlocks emanzipierte kleine Schwester: "Enola Holmes"

Die "wilde Tochter einer wilden Mutter" soll gesellschaftsfähig werden - will das aber nicht.
Die "wilde Tochter einer wilden Mutter" soll gesellschaftsfähig werden - will das aber nicht.(c) LEGENDARY ©2020 (LEGENDARY ©2020)
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Weibliche Überlegenheit in „Enola Holmes“: Statt auf kühle detektivische Analyse setzt der Film mit Millie Bobby Brown auf Empathie und Humor.

Sherlock Holmes war schon immer ein wenig ignorant. Auch als Nebenfigur im Netflix-Film „Enola Holmes“ bleibt er seiner Linie treu und will sich nicht mit gesellschaftlichen Entwicklungen oder Politik abgeben – doch nun wird diese Haltung nicht mehr toleriert. Da steht er in einer Teeküche in London, vor sich eine nette schwarze Lady, die im Nahkampf erprobt ist, und muss sich unangenehm analytische Fragen gefallen lassen: „Politik interessiert Sie nicht. Warum?“ Holmes, verächtlich: „Weil sie todlangweilig ist.“ Nein, winkt die Teeköchin ab, der wahre Grund sei ein anderer: Sherlock habe einfach keinerlei Interesse daran, eine Welt zu verändern, die so angenehm, so bequem für ihn sei.

Für seine kleine Schwester Enola Holmes sieht die Lage etwas anders aus. Zwar durfte sie vollkommen frei in einem von Efeu überwucherten Landhaus aufwachsen, im Wohnzimmer Tennis spielen und in der Küche explosive Stoffe mischen, doch dann verschwindet ihre Mutter (relativ) spurlos, ausgerechnet an Enolas 16. Geburtstag. Die Mutter hat dafür durchaus ihre (sehr politischen) Gründe.

(c) ROBERT VIGLASKI /LEGENDARY ©2020 (ROBERT VIGLASKI /LEGENDARY ©2020)

Die rasch herbeigerufenen älteren Brüder, die das Mädchen am Bahnhof nicht einmal erkennen (die Familienbande sind nicht eng), beanstanden ad hoc seine mangelnde Kultiviertheit und weibliche Eleganz, woraufhin der ältere Mycroft es in ein Internat mit Gefängnischarakter stecken will. Sherlock soll indessen das Verschwinden der Mutter, der beide Brüder skeptisch bis misstrauisch gegenüberstehen, lösen. Enola als selbstbestimmte Heldin macht sich daraufhin aus dem Staub. Und entdeckt, dass es gar nicht so einfach ist, als junge Frau im England des Jahres 1884 Rätsel aufzuklären.

„Empowerment“ im Zentrum

Der ebenso flotte wie witzige Film versammelt einiges an britischer Schauspielprominenz: Enola, charmant trotzig gespielt von der wunderbaren Millie Bobby Brown (die Eleven aus „Stranger Things“) bewundert ihren großen Bruder Sherlock (Henry Cavill, bekannt als „The Witcher“ und Superman) und ist geprägt von der kompromisslos emanzipatorischen Erziehung ihrer Mutter (Helena Bonham Carter), die sie vom Kindergartenalter an in eigentlich allem geschult hat. Im Zentrum der Handlung stehen weniger die Krimi-Elemente als eine Geschichte der weiblichen Selbstermächtigung, die derzeit unter dem Begriff „Empowerment“ nicht nur bei Filmemachern hoch im Kurs steht.

Man kann dem Film nun den Vorwurf machen, dass er hier wenig subtil vorgeht, ein bisschen zu oft wird etwa betont, dass der Name Enola ein Anagramm von „alone“ ist. Die junge Heldin kommt von einer „Ich zeige den Männern, wo es lang geht“-Situation in die nächste. Doch das passiert stets humorvoll. Und wenn die exzentrische Mrs. Holmes schon dem Säugling Enola eintrichtert, dass er sehr gut allein zurechtkommen kann, ist die Ironie nicht zu übersehen.

Aber ist Enola nun tatsächlich der bessere Sherlock? Sie ist jedenfalls empathisch, nicht (nur) analytisch. Ebenso klug wie gebildet. Und kämpft auch mit Korsett ziemlich gut. Geniale Ansätze bei der Ermittlerarbeit vermisst man, was aber auch der Vorlage geschuldet sein dürfte: Der Film basiert auf der noch jungen Kinder- bzw. Jugendbuchreihe der US-amerikanischen Autorin Nancy Springer und richtet sich damit an eine junge Zielgruppe, auch wenn er von Netflix nicht explizit als Jugendfilm beworben wird. Feministische Selbstermächtigung statt Geniekult – am Ende zeigt sich sogar der große Sherlock offener dafür, als man gedacht hätte.

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