Im Namen von Personen, die sich in Tirol mit dem Coronavirus angesteckt haben, wurden in Wien die ersten vier Amtshaftungsklagen eingebracht.
Pressekonferenzen in Zeiten von Corona enthüllen mitunter die Eleganz so mancher Örtlichkeit. Tagte schon die Untersuchungskommission des Wiener Gemeinderats in der bei Ballveranstaltern beliebten Volkshalle des Rathauses, so stand nun auch der Verbraucherschutzverein (VSV) um nichts nach: Am Mittwoch fand – Stichwort: Abstand – eine Pressekonferenz im Ballsaal des Grand Hotel Wien statt. Das durchaus ernste Thema: erste Amtshaftungsklagen in der Causa „Ischgl“.
Angetrieben wird diese Entwicklung von VSV-Obmann Peter Kolba, vormals Liste Pilz-Mandatar bzw. Leiter des Bereichs Recht im Verein für Konsumenteninformation (VKI). „Es sind dies die ersten Musterprozesse um schwere Fehler der lokalen Behörden in Tirol und der verantwortlichen Politiker auf Bundesebene beim Pandemie-Management in den Tiroler Skigebieten in den Monaten Februar und März 2020“, erklärte Kolba diesen Vorstoß.
Von den mehr als 6000 Personen aus 45 Ländern, die sich bisher beim VSV gemeldet hätten, seien 80 Prozent positiv auf das Coronavirus getestet worden. 1,2 Prozent dieser Gruppe seien auf Intensivstationen behandelt worden. 32 Personen seien an Covid-19 gestorben. Die meisten davon (22) stammten, so der VSV-Chef, aus Deutschland.
Am öftesten hätten sich Menschen im Tiroler „Zielort“ Ischgl angesteckt. Weitere Infektionen sollen auf Aufenthalte in den Orten St. Anton am Arlberg und Sölden sowie im Zillertal und im Paznauntal zurückzuführen sein. Außer Kolba saßen nun auch Anwalt Alexander Klauser und Ischgl-Blogger Sebastian Reinfeldt am Podium.
Wenig Vertrauen in Tirols Behörden
Den gerichtlichen Anfang machen nun eben vier Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich, die – wohlweislich – beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (und nicht in Tirol) eingebracht wurden. Sein Vertrauen in Tiroler Behörden sei nicht gerade ausgeprägt, erklärte Kolba den mit Schutzmasken ausgestatteten Zuhörern, die am Eingang registriert worden waren und einen fixen Sitzplatz zugeteilt bekommen hatten. Nachsatz: Er habe sich sagen lassen, dass in Tirol ein sehr enges Verhältnis zwischen Tourismusindustrie, Behörden und Politik bestehe.
Die örtliche Zuständigkeit „Wien“ erklärt Anwalt Klauser in einer seiner Amtshaftungsklagen damit, dass das in der Bundeshauptstadt ansässige Gesundheitsministerium Anfang März „trotz weithin bekannter Gefährlichkeit von Covid-19“ aufgrund von Rückmeldungen von Urlaubsrückkehrern die Warnungen nicht rechtzeitig an das Land Tirol weitergeleitet habe.
Eine der genannten vier Amtshaftungsklagen wird beispielsweise von Hinterbliebenen eines österreichischen Journalisten geführt. Dieser hatte sich, laut Klage, im Anschluss an einen Skiausflug nach Ischgl „offensichtlich bei der chaotischen Abreise im Bus infiziert“. Nach Wochen auf der Intensivstation starb der Mann. In diesem Fall werden mehr als 100.000 Euro Schadenersatz von der Republik Österreich eingefordert. Ein Skitourist aus Deutschland, der nach einem Ischgl-Aufenthalt mit einer Lungenentzündung auf der Intensivstation lag, begehrt ebenfalls um die 100.000 Euro. Die weiteren beiden Kläger verlangen 45.000 und 12.000 Euro.
Kläger: „Druck von Tourismus-Lobbyisten"
Im Grunde geht es den Opfern nun darum Schmerzengeld, Verdienstentgang, Therapiekosten oder etwa Transportkosten gerichtlich einzutreiben. Zitat aus einer Klage: Die zuständigen Behörden hätten es unterlassen, die Skigebiete früher zu schließen bzw. die Urlauber zu warnen, „teils aus (grober) Fahrlässigkeit und teilweise – schlimmer noch – auf Druck von Lobbyisten aus dem Bereich des Tourismus, insbesondere aus Kreisen der Seilbahnwirtschaft, der Hotellerie und der Gastronomie.“
Nach den einzelnen Amtshaftungsklagen könnten Sammelklagen folgen. Kolba sieht bis zu 6000 potenzielle Kläger. Noch werde ein Prozessfinanzierer gesucht. Da es aber Jahre dauern werde, bis die Opfer so zu ihrem Recht kommen, schlägt der VSV einen runden Tisch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz vor. Dabei sollten sich die Behörden entschuldigen. Und die Opfer sollten außergerichtlich entschädigt werden.
Indes betont das Land Tirol (auch unter Verweis auf die eingesetzte Untersuchungskommission), dass es Vertrauen in die Gerichtsbarkeit, die nun mit der Causa betraut sei, habe. Auch Tirol selbst habe größtmögliches Interesse, alle Entwicklungen der letzten Monate zu evaluieren und auf den Prüfstand zu stellen, hieß es am Mittwoch.