Fahndungsplakate in einer Hamburger Einkaufspassage.
Milliardenbetrug

Wozu der russische Geheimdienst Wirecard brauchte

Die Aufarbeitung des milliardenschweren Betrugsfalls Wirecard ist in Gang. Der Vorwurf, der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek habe mit dem russischen Geheimdienst kooperiert, bleibt aufrecht. Aber was konnte er diesem bieten? Eine Recherche der „Presse“ – mit Blick in die Praxis des KGB – klärt auf.

Berüchtigt und illuster ist der Kreis der internationalen Parias, die in Russland Zuflucht gefunden haben und zu denen sich vor einiger Zeit offenbar auch der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gesellt hat. Die Familie des ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević, von der immerhin noch die Nachfahren leben, fand dort Aufnahme, die frühere ukrainische Staatsführung rund um Ex-Präsident Viktor Janukowitsch ebenso. War bei Leuten wie ihnen politische Loyalität der Hauptgrund, dass Moskau sie vor Strafverfolgung schützt, so beim ehemaligen CIA-Mitarbeiter Edward Snowden neben der Genugtuung über die Erniedrigung der USA wohl der Nutzen, den er als Informationsquelle brachte.

Inzwischen ist also auch der 40-jährige Österreicher Marsalek, dem ein Milliardenbetrug bei Wirecard vorgeworfen wird, zu ihnen gestoßen. Zumindest laut „Handelsblatt“ und Investigativmedium „Bellingcat“ habe er sich am 18. Juni nach Moskau abgesetzt. Und soll sich unter der Aufsicht des russischen Militärgeheimdiensts GRU dort aufhalten. Das wäre logisch, wenn der mediale Wissensstand stimmt, dass Marsalek mit dem GRU kooperiert hat. Gewiss, bestätigt ist das nicht.

Doch schon der Umstand, dass die Russen Marsalek zurückgenommen haben und Schutz bieten, zeuge davon, dass er von Nutzen gewesen sei, sagt Thomas Riegler, Geheimdienstforscher am österreichischen Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies, im Gespräch mit der „Presse“: Sie hätten verhindern wollen, dass er in die Hände anderer Geheimdienste gerate und von ihnen über seine Rolle beim nun insolventen DAX-Konzern ausgequetscht werde.

Allein, welchen konkreten Nutzen haben Marsalek und Wirecard für den GRU beziehungsweise für den Inlandsgeheimdienst FSB, der sich ja angeblich auch für ihn interessiert hat, gehabt?

Hauptgeschäft im Geheimen. Das offiziell dokumentierte Russland-Geschäft von Wirecard gibt darüber wenig Auskunft, denn dieses sei über all die Jahre „überschaubar“ geblieben, wie Ilya Schumanow, Vizechef der russischen Niederlassung von Transparency International (TI), im Gespräch erklärt. Weshalb Schumanow annimmt, dass das wirkliche Hauptgeschäft über eine Kooperation mit dem russischen Zahlungsdienstleister Moneta.ru und der mit ihm verbundenen Gesellschaft Runtime abgewickelt worden ist, die am 9. April 2020 – also 19 Tage vor Auffliegen des Wirecard-Skandals „in einer Blitz- und Verschleierungsaktion“ als Besicherung bei der deutschen Wirecard-Tochter Wirecard Acquiring & Issuing hinterlegt worden ist.

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