Konjunktur

Deutsche Wirtschaft erholt sich

Volkswirte sehen, die deutsche Wirtschaft ist auf einem guten Weg. Doch die Industrie warnt: Die Folgen der Coronapandemie sind noch lang nicht ausgestanden.

Nürnberg. Ein halbes Jahr nach dem Coronalockdown ist die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Volkswirten auf Erholungskurs. „Inzwischen zeichnet sich ab, dass – zumindest in Deutschland – die Lage doch nicht ganz so düster ist, wie die Stimmung zwischenzeitlich gewesen ist“, sagte Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg.

Führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute hatten ihre Prognosen zur Wirtschaftsleistung nach oben korrigiert. So gehen etwa das Münchner Ifo-Institut und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg von einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes von 5,2 Prozent im laufenden Jahr aus – das wäre weniger als in der Finanzkrise 2008/2009.

Die Zeichen stehen auf Erholung, sagt Niklasch. „Das zeigen die Frühindikatoren oder die harten Fakten zu Produktion und Konsum.“ Über all den Prognosen hänge jedoch das Damoklesschwert einer zweiten Phase starker Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Zweiter Lockdown hätte „fatale Folgen“

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mahnte eine strikte regionale Differenzierung an. „Bund und Länder müssen bei allen bevorstehenden Eindämmungsmaßnahmen den kleinsten regionalen Nenner zum Maßstab haben“, erklärt BDI-Präsident Dieter Kempf. Das Herunterfahren wirtschaftlicher Aktivität in ganzen Landkreisen mit hohem Industrieanteil müsse unbedingt vermieden werden. Sonst würde die konjunkturelle Erholung massiv zurückgeworfen.

Kempf betonte vor dem Gespräch von Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der deutschen Länder am Dienstag, insgesamt seien die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie noch lang nicht ausgestanden. „Ein zweiter Lockdown hätte für die sich langsam wieder erholende deutsche Wirtschaft fatale Auswirkungen“, sagte der BDI-Präsident.

Marc Schattenberg von der Deutschen Bank sieht die Wirtschaft wieder auf Kurs, warnt jedoch ebenfalls vor zu großer Euphorie. Eine Insolvenzwelle sei Anfang des kommenden Jahres nicht auszuschließen. Unsicherheiten über den Wahlausgang in den USA und den Brexit kämen als Risken von außen hinzu. Zu bedenken sei auch, dass die Coronakrise – anders als vor mehr als zehn Jahren die Finanzkrise – tief in die Wirtschaftsstrukturen eingreife. „Die Krise ist von anderer Natur“, sagt Schattenberg.

Die Chefvolkswirtin der staatlichen Bankengruppe KFW, Fritzi Köhler-Geib, hält zwar eine Verlangsamung des Erholungsprozesses aufgrund staatlicher Vorgaben für möglich. „Ein erneuter Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität ist aber unwahrscheinlich“, betont sie. „Denn die Menschen in Deutschland verhalten sich im Großen und Ganzen diszipliniert und die Erkenntnisse aus dem Frühjahr erlauben einen regional gezielteren Umgang mit der Pandemie.“ Eher warnende Worte kommen dagegen von der Allianz-Volkswirtin Katharina Utermöhl: „Die Flitterwochenphase der derzeitigen Konjunkturerholung neigt sich dem Ende entgegen“, sagt sie. Schon im Herbst dürfte es nach ihrer Ansicht wieder ungemütlich werden. Auch ohne eine ausgeprägte zweite Infektionswelle rät sie dazu, mit Konjunkturrückschlägen zu kalkulieren.

Keine finanziellen Einbußen

Der Arbeitsmarkt habe sich als robuste Stütze der Konjunktur gezeigt, auch dank der staatlichen Hilfen, etwa beim Kurzarbeitergeld. „Der befürchtete Anstieg der Arbeitslosigkeit über die Drei-Millionen-Marke scheint vorerst abgewendet“, so Köhler-Geib. Dazu passen die Ergebnisse einer Umfrage, wonach den meisten Privathaushalten in Deutschland in der Coronakrise finanzielle Einbußen erspart bleiben. „Nachdem die Coronapandemie ein halbes Jahr gewütet hat, beobachten wir, dass sich die finanzielle Lage der Haushalte nach dem ersten Schock im März 2020 weder weiter signifikant verschlechtert noch deutlich erholt hat“, erklärte Andreas Hackethal vom Frankfurter Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung Safe.

Der Erhebung von Anfang September zufolge haben 17 Prozent der befragten Haushalte mit Einkommensverlusten zu kämpfen, die große Mehrheit von 83 Prozent sieht aber keine Einbußen oder sogar eine Verbesserung ihrer Situation. Schlechter erging es den Selbstständigen. (DPA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.